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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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549
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NermitlelungSvorschläge, Christus und das Deutschtum. 549

die Hand. Einst, im frühen Mittelatter schwankte man in derDarstellung Christi . Der eine bildete ihn bartlos, der andere imVollbart; der mit lockigem, jener mit straffem Haar; der griechisch,jener als Juden. Die irdische Gestalt des Herrn, sagt der heiligeAugustin, wird in tausendfach verschiedener Weise vorgestellt undabgebildet, obgleich sie eine war, welcher Art sie auch gewesen seinmag. Die Macht der Überlieferung im 19. Jahrhundert ist so groß,daß meines Wissens kein deutscher Künstler es unternahm, z. B- aufdie ältere antikisierende Ausfassung zurückzugreifen. Uhde bildeteChristus einigemal bartlos. Er that es, ohne die Grnndgestalt desüberlieferten Hauptes wesentlich zu verlassen.

Wohl aber wnrden alle Kräfte eingesetzt, in den Kopf dasKönnen der Zeit zn legen; den sorgenden, denkenden, leidenden,hoffenden nnd glaubenden Mensch in ihm zum Ausdruck zu bringen,und zwar alles dies ohne die nun einmal anerkannte Grundformganz zu beseitigen, in der Absicht, dem Christusbilde die nuu ein-mal feststehende Kopfbildung zn wahren.

Die Bestrebungen um die künstlerische Ergründung Christiwaren mit den Anleihen bei der Wissenschaft nicht abgeschlossen.Man mußte sich klar werden, daß Christus, wie er in unseremGeiste lebt, nicht der Sohn des jüdischen Volkes aus der Zeit desHerodes ist, daß wir auch in der religiösen Nacheiferuug uns nichtgeschichtlich in jene Zeit zu versetzen brauchen, sondern daß er in jedemVolke und von jeder Zeit neu aus dem Geiste geboren werden muß.

Das Judentum war eine Volksreligion, eine geschlossene Civili-sation, wenn man darunter die Eiuheit in Wollen, Hoffen nndHandeln, in Sitte und Gewohnheiten, Sprache und Glaube beieinem Volke versteht. Das Christentum schafft nicht, wie GrafGobineau meisterhaft ansführte, noch vermindert es die Anlagezur Civilisation. Es hat die Eigentümlichkeit, sich mit jeder ver-mischen zu können. Der Chinese wie der Eskimo, der Mongolewie der Deutsche können Christen werden, ohne daß sich ihre Civili-sation ändert. Das Christentum stellt große Gesetze der Moral auf,äudert aber nicht die gescllschastlichen Zustäude. Die christliche Kircheist daher nicht die Kirche eines Volkes, sondern eine allgemeine Kirche.Ihr Gott ist nicht der der Juden in deren Sinne, nicht ein Stammes-