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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VII. Das Streben nach Wahrheit.

das sagte ihnen ihr malerisches Empfinden, ihre Kenntnis ältererKunst, die ganze Entwickelung früherer Jahrhunderte. Jene Be-wunderung konnte nur aus einer geistigen oder sittlichen Krankheithervorgehen. Narren oder Leute mit nnkünstlerischen Nebenzweckenwaren es, die sich in ihr zusammenfanden. Denn jedem, der zusehen vermag, so sagten sie sich, muß doch klar sein, daß Bilder,die keinen würdigen Gegenstand behandeln, keinen planmäßigen Auf-bau zeigen, weder schönen Ton noch schöne Farbe und schöne Zeich-nung haben, die also aller Grundbedingungen der Kunst entbehren,nicht schön sein können. Dazu waren selbst alle Künstler, die ihrLeben in fleißigem Naturstndium verbracht hatten, Mappen vollsorgfältiger, die Natur bis iu ihre letzten Flächen und Linienverfolgenden Skizzen besaßen, der Überzeugung, daß es einfacheine Unverschämtheit einiger junger Bürschchen sei,' ihnen vorzu-werfen, sie hätten die Natnr nicht genug beobachtet, nicht richtiggesehen. Verglichen sie ihr Bild mit dem der Neuen, so fandeusie sich im Recht. Nach ihrer Überzeugung hatten sie die wahreWahrheit, jene die manierierte, falsche, von ein paar französischenVerführern entlehnte. Sie konnten jenen ihre Sorgfalt vorhaltengegenüber dem Geschmier der anderen, bei denen sie oft nichterkannten, was für ein Gegenstand dargestellt sein solle; sie konntensich daranf berufen, daß sie mit der Natur durch die Liebe ver-schmolzen seien, mit der sie ihr in die Einzelheiten nachgingen,während jene nur die großen Eindrücke in grob erscheinendenStrichen festhielten; sie konnten ihr Recht dadurch erhärten, daßsie in der Natur das fanden, was auch die größten Meister allerZeiten in ihr als das Edelste, Beste erkannten; während die Neuenuach Eindrücken suchten, die ein Rafael, ein Rubens mit Abscheuvon sich gewiesen hätte; sie konnten endlich die ungeheure Mengedes deutschen Volkes aufrufen zur Wahl zwischen ihrer und derneuen Kunst. Über den Ausfall des Urteils konnte kein Zweifel sein!

Und doch der Umschwung vollzog sich erstaunlich rasch.Mehrere Jahre, seit 1887 lebte ich in Berlin , zumeist beschäftigt, ueueKunst zu seheu. Meine Frau, Dresdnerin, begleitete mich häusigiu die Ausstellungen. Als wir 1393 wieder nach Dresden über-siedelten, war einer unserer ersten Gänge in die Galerie. Meine