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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VIII. Die Kunst aus Eigenem.

Schule gemacht. Da war Bluntschli, dem bei Semper undin Paris der Blick über die trockene Wiederholung der Antikehinaus erweitert worden war und der knrz vorher gemeinsammit dem an Schule und Kunstabsicht verwandten Mylius denkünstlerisch fast ebenso wichtigen Sieg in der Bewerbung um dasRathaus in Hamburg gewann, einer der entscheidenden Triumpheder Kunstart Sempers über die Schinkelsche. Da war ferner eineganze Anzahl tüchtiger jüngerer Männer, denen die reichen Mittelder Stadt und ihrer Bürger wie das eigene Streben nach Bethä-tigung Gelegenheit und Mut gabeu, das Besondere, Eigenartige zuerstreben uud durchzuführen.

Es war Wallots und Thierschs Erfolg, unverkennbar ein Siegder breiteren, volleren, saftigeren Architekturbehandlnng, die in Süd-deutschland heimisch war, über die der Berliner , denen noch zumeistein Stück von der engen Verstandesmäßigkeit anhing, durch die siealle hatten hindurchgehen müssen.

Betrachtet man Wallots ersten Entwurf auf den selbständigenGedankeninhalt, namentlich hinsichtlich der Formen, so wird mannicht eben sehr viel Eigenes an ihm finden. Es ist eine tüchtigeSchularbeit mit glücklichem Sinn für Naumverteilnng uud fürMassenwirknng. Die Formgebung ist die einer mit Geschick be-handelten Renaissance im Geist der Schüler Sempers. Frankfnrtam Main mit seiner gesunden Breitlebigkeit, mit seinem Mangel anakademischen Fesseln wirkt in ihm entschieden nach.

Wallot hatte auch das Glück, daß der Preisverteilung baldder eigentliche Banauftrag folgte. So wurde er aus dem dochimmerhin kleinen Schaffenskreise in Frankfurt an die Spitze desgrößten Berliner Denkmalbaues gestellt; wie man sagt, ans WunschKaiser Wilhelms I., der dem Verdienste seine Krone lassen wollte.Aber so ohne weiteres ging dies alles doch nicht. Viel, sehr vielKöche umstanden den Brei: die Reichsregierung, die Ministerien,der Reichstag , die Akademie des Bauwesens als beratende Fach-behördc und hinter diesen allen der Hansen der Federn, der ausSachnnkenntnis in architektonischen Fragen so leicht dem in dieHände fällt, der gerade das Wort zu ergreifen Lnst hat. Und dassind nur zn oft nicht eben die Wohlwollenden.