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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VIII. Die Kunst aus Eigenen,.

danken anregend wirkt, so kann zweifellos auch durch zeichnerisch beab-sichtigte Linienführung von einem auf andere ein Gedanke, einegemeinsame Empfindung übertragen werden. Es hat also wenigZweck, über den Sinn der Linien zn streiten, gar keinen, ihnendiesen Sinn abzusprechen. Gelingt es dnrch sie, Gedanken zu über-tragen, werden andere durch sie, sei es dumpf oder klar, angeregt;so werden die, welche es nicht sind, jenen nicht einreden können,die Anregung sei nicht vorhanden. Die Linie hat eben jetzt Be-deutung, denn sie spricht zn denen, die ihren Sinn zu lesen ver-mögen; sie ist eine künstlerisch lesbare Schrift geworden.

Wer je mit zehn Strichen das lustige und das traurige Schweinzeichnete, weiß, daß und wie die Linie redet. Sie thut es nochmehr nnd eindringlicher dort, wo sie in der Natnr sest ein-gewurzelten Grund hat, wo man sie als Umriß einer bekanntenForm empfindet. Wie höhnte man als 1893 Jan Toroop's, desNiederlanders eigentümliche Linienphantasien auf der MünchenerAusstellung erschienen. Man hielt sie wieder einmal für den voll-endeten Unsinn, für das Ende der Kunst! Jetzt beherrscht seineArt viel zeichnerische Federn. Die Linie sucht eigenen Ausdruck, siewirkt formensymbolisch. Und die haben nicht mitzureden, die dasSymbol nicht verstehen, denn sie sind nicht angeredet!

Auf den Geschmack unserer Zeit wirkten entschieden die Formen,die der Ingenieur erfand. Am Brückenban wie am Hausbauhatte das Eisen sich in die Stilformen eingießcn lassen müssen.Man hatte wieder gelernt, den Hammer zu handhaben, um das Eisenkunstvoll zu schmieden. Aber an Gittern und Gerät hatte manvom Lehrer des alten Gewerbes auch die Kunstformeu übernommen.Nnn aber gab es neue Dinge, für die der alte Formenvorrat nichtreichte: Die Maschiueu, die großen in der Fabrik, mehr noch diekleinen im Hause, die Nähmaschine, das Fahrrad, all die zahlreichenneuen Geräte, bei deuen es allem darauf ankam, praktische Formenzu finden. Die Versuche der Gewcrbckünstler, sie zu schmückeu,mißlangen zumeist. Die alten Kunstsormen erwiesen sich als zuspröde; die neuen Gebrauchsformen waren zu bewegt, zu eigenartiggewunden, um einer stilistischen Systematik sich einzufügen.

Jede Bauform, sagt Otto Wagner , ist aus der Konstruktion