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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Die Sprache der Linien.

Konstruktion und Form.

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entstanden und nach und nach zur Kuustform geworden; daherwerden ueue Konstruktionen anch Neue Formen gebären müssen;wird die Fülle der neuen Konstruktionen in unserer Zeit eilten neuenStil schaffen; daher ist es Aufgabe des Baukünstlers, aus der Kon-struktion die Kunstform zu entwickeln. Das Werk des rechnerisch thätigenIngenieurs wirkt uukünstlerisch, der Baukünstler muß die Formverständlich machen durch die Kunst. Diese Ansicht Wegners ist mitRecht von allen Seiten zurückgewiesen worden. Die Baukunst warbisher ganz unfähig, die Formen der Maschine, des eisernen Dachesverständlich zu machen. Die Erklärungsversuche durch die Ktmst habendort lediglich als Balast gewirkt. Aber die neuen Formen habensich selbst verständlich zu machen gewußt und dem, was sich alleinKunst nannte, sehr entschieden widersprochen dadurch, daß sie demvon einem anderen Gebilde entlehnten Idealismus mit ihrersachlich richtigen Eigenbildung entgegentraten. Matt kann heutenicht mehr gut leugnen, daß den Maschinen und den rein nachNützlichkeitsgesetzen errichteten Werken eine Schönheit inncwohne.Mir wenigstens gefällt ein Kriegsschiff und ein gut gebautes Fahr-rad besser als so manches stilvolle Zinshaus oder ein Photographie-stäitder in überladenein Rokoko. Ich bin sogar der Meinung, daßman beide durch Anfügen von sogenannten Kunstsormen lediglichentstellt, daß sie Gebilde der Meuschenhand sind, die mit klugerBerücksichtigung des Zweckes und der zu seiner Erreichung nötigenFormen ein gewisses Liniengefühl verbinden, durch das demGefallen am besten gedient wird. Ob diese Linien berechnet oder obsie, aus freier Hand gezeichnet, einer richtigen Erkenntnis desNotwendigen folgen, kann mir gleich fein. Sie sind Äußerungenkünstlerischen Geistes; und wir fallen wieder in den beschränkendenKunsthochmut, der unserem Jahrhundert so viel schadete, wenn wirsie als nüchtern oder unkünstlerisch ablehnen.

So ist's in den großen und den kleinen Gebilden. Man hatsich so sehr über die Kuppel auf dem Reichstagsgebäude aufgehalten:Thatsächlich handelt es sich um keine Kuppel, sondern um einGlasdach. Über dem Verwaltungsgebäude der Weltausstellung iuChicago staud eine Kuppel, die über der Wölbung mit einergeraden Linie abschloß. Ich las in einer Besprechung des Baues,