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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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Englische Geburtshelfer.

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ins Deutsche und Italienische übersetzt wurde, die Eifersucht derKollegin erregte, so daß sie den Platz ihrer segensreichen Thätig-keit aufgeben nnd nach Poissy verlegen mußte. Sie erhielt füreine Arbeit über die Gebärmutterblutungen einen Preis uud wurdevon der Universität Marburg mit dem Doktortitel geschmückt. DieUrteile über ihre Bedeutung sind geteilt; während die einen siesehr hoch halten, wird sie von Siebold weniger geschätzt.

Gehen wir zur englischen Geburtshilfe über, so finden wir,wie auf allen übrigen Gebieten der medizinischen Wissenschaft, einefrühzeitige Vollendung und eine vorurteilslose Forschung. Diekünstliche Frühgeburt war sehr bald in Aufnahme gekommen, wiewir fchon gesehen haben, auch ist England das Heimatland derZange, obwohl die Geschichte derselben für den Menschenfreuudnichts weniger als erfreulich ist. Wenn auch ein Kind des 18.Jahrhunderts, so ragt doch noch bis ins 19. Jahrhundert hereinThomas Denman (17331815). Derselbe stützte sich wesentlichauf die Grundsätze seines leuchtenden Vorbildes Smellie undfixierte in einem 1788 erschienenenLehrbuch der Geburts-hilfe" deu damaligen Standpunkt der englischen Geburtshilfe, diesich namentlich der Zange bediente. Er hatte sehr gute Kennt-nisse der verschiedenen Lagen und huldigte der Perforation mitgroßer Vorliebe getreu dem englische» Grundsätze, daß das Lebendes Kindes weniger wert ist, als das der Mutter. Deumanwar zu seiner Zeit wohl einer der größten Geburtshelfer. Es istja richtig, daß die Zange erst in Frankreich und später in Deutsch-land zu einem Ansehe»? gelangte, welches das Vorwärtsschreiteneiuer freien wissenschaftlichen Forschung solange aufhielt, bis dieWiener Schule gezeigt hatte, daß die Natur auch über Kräfte ge-bietet, die man nicht unterschätzen darf, aber eine gewisse Neigungzum Operieren läßt sich der englischen Geburtshilfe uicht abstreiten,wenn sie auch rationeller war, als die französische. Was England von Frankreich unterscheidet, war der Umstand, daß schon um dieMitte des 18. Jahrhunderts die Geburtshilfe in den Häudeu derÄrzte war, und daß vortreffliche Institute zur Aufnahme Schwangerereingerichtet waren, dagegen läßt es sich nicht leugnen, daß dieAusbildung der Hebammen in Frankreich aus einer viel höheren

Müller, Organ. Naturw, 31