Neuntes Kapitel.
Geburtshilfe, Frauen- und Kinder-Krankheiten.
Am Anfang des Jahrhunderts traten zwei Richtungen in derGeburtshilfe, die sich an die Namen Osiander und Boör knüpfen,in fcharfen Gegensatz zu einander. Osianders Entbinduugskunstund Bosrs Geburtshilfe — iu deu beiden Worten ist die Rich-tung der Männer angedeutet, von denen der eine alles Heil ineiner ausgebildeten Technik suchte, wogegen der andere die Naturzu ihrem Rechte kommen ließ. Einen vermittelnden Platz zwischenbeiden nahm der Würzburger Siebold ein, der seine Anstalt mitdem schönen Motto versehen hatte: „Stille uud Ruhe, Achtungder Natur und dem gebärenden Weibe, und der Kunst Achtung,wenn ihre Hilse die Natur gebietet." Friedrich Benjamin Osiander (1759—1822) wurde als Landarzt auf die neugegründete Professurin Göttingen berufen uud zog durch seine vollendete Operations-technik zahlreiche Schiller an. Er war von einer wahren Opera-tionswut befallen und wenn Siebold in seiner Geschichte derGeburtshilfe berichtet, daß vou 2540 Geburten in der Göttinger Klinik nur 1381, also nicht viel mehr als die Hälfte auf natürlichemWege erfolgten, dagegen 1016 mittels der Zange beendigt wurden,dauu kann mau sich denken, in welchen scharfen Gegensatz einesolche Schule zu der Lehre der Wiener Hochschule trat, die nichtsHöheres kannte als abwarten und nur im äußersten Notfalle ein-zugreifen. Siebold erklärte die große Vorliebe für operative
Müller, Organ. Naturw. 30