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IX. Geburtshilfe, Frauen- und Kinderkrankheiten.
Eingriffe durch die Verhältnisse, in denen Osiander aufgewachsenwar: seine Lehrer waren operationsfreudig, und als Praktischer Arzt ,in welcher Stellung er sich seiuen Ruf als Geburtshelfer errungenhatte, wurde er natürlich nur in extremen Fälleu geholt, in welchenrasche Beendiguug des gefahrdrohenden Aktes gewünscht wurde uudgeboten schien. Wie alles, was Schattenseiten hat, auch von derLichtseite betrachtet werden kaun, so darf die chirurgische BegabungOsianders nicht unterschätzt werden; denn wenn er auch inmancher Beziehung zu weit gegaugeu ist, so hat er doch übereine glänzende Technik verfügt, welche er auf seine Schüler fort-pflanzte, die dann in erusteu Fällen davon Gebrauch machenkonnten. Die Wiener Schule mit ihrer zuwartenden Methodebildete keine Schüler aus, die erusteu Situationen so gewachsenwaren wie die Göttinger Schüler. Osiander hat sich namentlichals Zangenoperatenr sehr verdient gemacht, er verbesserte dieMethode und erfand eine Zahl von neuen Instrumenten, die zumTeil noch jetzt in Gebrauch stehen. Auch litterarisch war der viel-seitige Maun sehr thätig. Er hinterließ uns im ersten Bandeseines „Lehrbuches der Entbindnngskuust" (1799) einelitterarische und pragmatische Geschichte dieser Kuust, die zwar aufQuellenstudium zurückgeht, aber doch so subjektiv gefärbt ist, daßder historische Wert dieses Buches nur ein geringer ist.
Während Osiander in 54°/g der Fälle die Zange anwendete,gebrauchte sie sein Antipode Boer in Wien uur in 0,6 LnkasJohann Bosr (1751—1835) wurde nach wechselvollen Schicksalenvon dem Leibwundarzt der Kaiserin Maria Theresia , Rechberger,bestimmt, sich der Geburtshilfe zu widmen uud vou Kaiser Josef II. nicht nur sehr hoch geschätzt, sondern auch zur weitereu Ausbildungauf Neiseu (Frankreich ) geschickt, auf denen er sich in seinem Special-fach aufs gründlichste ausbildete. Er war einer der ersten Geburts-helfer aller Zeiten und erhob die geburtshilfliche Schule von Wien zu der berühmtesten der Welt. Vielfaches Mißgeschick, auch imBerufe (die von ihm entbundene Gemahlin des späteren KaisersFranz starb wenige Stunden nach Anlegung der Zange) veran-laßte, daß er sich frühzeitig vom Lehramte und von der Weltzurückzog. Seine Ansichten sind in dem sieben Bände starken Werke