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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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Osiander und Boör.

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überNatürliche Geburtshilfe" niedergelegt. Er ahnte dieUrsachen des Kindbettfiebers, ohne sie finden zu können. Das vonihm empfohlene Antimonial-Arcannm, welches er nnentgeltlich gegenUnterschrift an die Arzte verteilte, hatte die gewünschten Heil-wirkungen nicht. Man ging damals sogar so weit, anzunehmen,daß Boizr bei der Trostlosigkeit der Therapie mit seinem Arcanumdie Hoffnung kräftigen, also nur suggestiv wirken wollte. Wie wenigder große Mann von der Anerkennung seiner Zeitgenossen hielt,das beweist er mit den prophetischen Worten:Für die Gegen-wart war diese Arbeit (Abhandlungen und Versuche geburts-hilflichen Inhaltes zur Begründung einer naturgemäßenEntbindnngsmethode) vielleicht zur Unzeit unternommen; aberkam je etwas ungewohntes zur Zeit? Ist je eiue Gestalt, die erstbegann, der größereu Menge willkommen gewesen? Dieser Umstandändert indessen nichts an dem inneren Gehalt der Dinge, die un-geachtet alles Widerstrebens auf der Urbahn des Einfachen undWahren ruhig fortschreite»; uud so wird auch dieses wohlgemeinteWerk durch unparteiische Nachkommen endlich zur Vollendung ge-deihen, da hier vorerst nur der Gruud dazu gelegt werden konnte."Er hat mit seinen Worten recht behalten. Die konservative englischeSchule, die er iu Deutschland resp, in Österreich einsührte, siegte imLaufe der Jahrzehnte über die durch Osiander vertretene opera-tionswütige französische Richtung.

Es läßt sich durch die Statistik erweiseu, daß die BoörscheSchule die wenigsten geburtshilflichen Operationen vornahm unddaß dieser konservative Sinn hoch gehalten wurde, bis mit derEinführung der Antiseptik die Chirurgie so ungeahnte Fortschrittemachte. Es wuchsen die Operationszisfern, mit denselben stieg aberauch die Mortalität der Wöchnerinnen wieder, so daß Doeder-leins Worte sehr zu beherzigen sind:Es ist klar, daß wir auchserner bestrebt sein müssen, die operative Thätigkeit in der Geburts-hilfe sv viel als möglich einzudämmen und uns immer und immerMieder zu vergegenwärtigen, daß der Geburtsakt an sich einnatürlicher Vorgang ist, der am günstigsten für die Frau abläuft,wenu man die Natur ganz allein walten läßt. Nur wenn die

Naturkraft ohnmächtig wird, wenn irgend welche pathologischen

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