Erstes Kapitel.
Vorläufer des 19. Jahrhunderts.
Die Medizin hat im verflossenen Jahrhundert zwei Epochenzu verzeichnen, von denen die erste, die fast fünf Decennien währte,eigentlich noch dem 18. Jahrhundert angehört, während die zweiteeinen ungeahnten Aufschwung brachte, der rasch die veraltetenTheorien über deu Haufen warf. Auch die Zoologie uud Botanikstanden zum Teil unter dem Banne der Stagnation — die zweiNaturwissenschaften, welche der Medizin so treue Bundesgenossenwerden sollten, als sie einem Phönix gleich aus der Asche aufstieg.Währeud die deutsche Poesie in voller Blüte stand uud die Philo-sophie Triumphe feierte, mühte sich die Heilwissenschaft mit un-fruchtbaren Spekulationen ab und zwängte ihr Wissen in starreTheorien. So kommt es, daß der Historiker am Anfang des19. Jahrhunderts ein Konglomerat von Systemen vorfindet, dieeinzelne Schulen in sich vereinigen. — Einerseits hinderten dieseSchulen die freie Entwickelung der Wissenschaft, andererseits triebensie in ihren Extremen die Heilkunde zu Maßnahmen, die wirhenke kaum mehr begreisen können. Und suchen wir nach demGrunde dieser Schematisieruugsmanie, so dürfen wir nicht an derJahrhundertsschwelle Halt machen; wir finden, daß sie alle aufAlbrecht von Haller , den berühmten Dichterarzt, zurückführen, derzu seiner Zeit eine Stellung hatte, wie sie später ein Humboldteinnahm. Es ist zum Verständnis der Übergangszeit nötig, daßwir in erster Linie dieses Mannes Werdegang betrachten, denn inihm liegen die Keime einer späteren, aussichtsreichen Forschung,
Müller, Organ. Naturw. 1