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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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596 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.

München gezeigt hat. Die Psychologie ist auf dem Wege, wiederin das rein philosophische Lager hinüberzuziehen und darum kaumein Objekt unserer Geschichte der organischen Wissenschaften. Esmöge jedoch der Mitbeteiligung an den wichtigen Fragen in derPsychiatrie gedacht sein, weshalb wir einen kurzen Abriß gebenwerden.

Der erste, welcher wissenschaftliche psychologische Forschungenanstellte, war Johann Friedrich Herbart (17761841), vondem wir neben einer Reihe von kleineren Arbeiten einLehr-buch der Psychologie" (1816) undPsychologie, alsWissenschaft neu gegründet aus Erfahrung, Metaphysikund Mathematik" (1824) besitzen. Er stellte im Gegensatzzu seinen Nachfolgern die These auf, daß die psychologischeDisciplin nicht auf sich beruhe» kann, sondern Principien auf-nehmen muß, die auf anderen Wegen gewonnen werden. Mitdiesen anderen Wegen meinte er die Metaphysik. Er lehnt sichan Leibnitz an: während dieser als die letzte Einheit seinesSystems die Monade bezeichnete, setzte Herbart als das letztedas Reale. Die ganze psychologische Untersuchung teilt Herba'rtinStatik und Mechanik des Geistes" ein. In der Statikwerden die Gleichgewichtsbedingungen der Vorstellungskräfte analy-siert, in der Mechanik die Bewegungsgesetze der Vorstellungskomplexe.Da von zwei ungleichwertigen Vorstellungen die imminderenGegensatze" befindliche gehemmt wird, fo nahm Herbart eineHemmungssumme au, in welcher sich das Verhältnis der gegen-einander wirkenden Vorstellungen ausdrückt.

Während man früher die psychologische Thätigkeit nur vonder Seele abhängig machte, veranlaßte die nach dem Sturz derNaturphilosophie mit gewaltiger Kraft einsetzende naturwissenschaft-liche, exakte Forschung, daß man den Körper nicht ohne weiteresals eine Hülle für die Seele ansah, sondern den Zusammenhangdesselben mit den Seelenäußernngen eifrigst studierte. So fandJohannes Müller, daß psychische Veränderungen von Störungendes Gehirnes bedingt sind. Wenn auch die Seele sich selbst nichtändert, so ändern sich doch ihre Thätigkeiten. So kam man voneiner Psychologie mit Seele auf eine Psychologie ohne Seele uud