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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1800 bis 1830: Sieg der Hegelschen Rechtsphilosophie.

dieser Regierung gemacht hat. Aber zu Grunde liegt doch zugleichdie Abneigung der Zeit gegen den Staat selber, die geschichtlichbedingt, in der Abneigung gegen den vielregierendcn und allbevormun-denden Polizeistaat des aufgeklärten ^ Despotismus wurzelte. Undandererseits hing sie bei ihm zusammen mit dem Individualismusder nenhumanistischen Bildung, mit demin und durch sich Sein",das den Gebildeten gleichgültig machte gegen Vaterland und Staat:er hatte genug zn thun mit seiner Selbstbildung und darum kehrteer dem Staate wie Diogenes in seiner Tonne den Rücken; derHerdersche Humanitätsbegriff konnte auch diese Weudung nehmen.Keinenfalls aber thut man Unrecht, wenn man wegen jener Schriftund der in ihr zum Ausdruck kommenden Stimmung den jugend-lichen Humboldt aber natürlich nur den jugendlichen! unterdie Vorläufer des theoretischen Anarchismus rechnet.

Und theoretisch dachte auch Schiller kaum anders, währender doch als Dichter historischer Dramen von Fiesko bis Tell Staatund Vaterland viel richtiger zu würdigen wußte. Dem Verfasserder Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen war unserwirklicher Staat nur ein Notstaat, ein notwendiges Übel; sein Ideal,der ästhetische Staat des schönen Scheins und der freien Bürger,existiert dem Bedürfnis nach in jeder feingestimmten Seele, derThat nach möchte man ihn wohl nur, wie die reine Kirche und diereine Republik, in einigen wenigen auserlesenen Cirkeln finden, wonicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigene schöneNatur das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltstenVerhältnisse mit kühner Einsalt und ruhiger Unschuld geht undweder nötig hat, fremde Freiheit zu kränken, nm die seinige zu be-haupten, noch feine Würde wegzuwerfen, um Anmut zu zeigen".Dieser Staat begründet nichtdie bessere Menschheit", sondern ergründet sich auf sie, weil sich iu ihm der Wille des Ganzen nurdurch die Natur des ästhetisch erzogenen und gebildeten Individuumsvollzieht; dieHarmonie in dem Individuum" ist die notwendigeVoraussetzung für die Harmonie der Gesellschaft. So ist auch fürSchiller die Hauptsache ästhetische Jndividualbildung, nicht staatlicheGesinnung.

Gewachsen aber war diese Stimmung und niedere Einschätzung