Drittes Kapitel.Preutzens Fall und Wiederaufrichtung.
Deutschland bis zum Falle Preußens.
Neben der rationalistischen Weltanschauung ist zu Anfang desJahrhunderts noch ein anderes Stück und Werk des Aufklärungs-zeitalters in die Brüche gegangen, nicht das geringste oder schlechteste— der Staat des aufgeklarten Despotismus, das FriedericianischePrenßen. Erst schien es, als sollte derselbe durch die reaktionäreNegieruugsweise seines Nachfolgers laugsam untergraben werden.Das Wöllnersche Religionsedikt vom 9. Juli 1788 war eineKriegserklärung gegen den bis dahin herrschenden Geist der Auf-klärung, mit Hilfe der Censur uud vcxatorischer Maßregeln gegenEinzelne, die selbst vor Kant und gerade vor ihm nicht Haltmachten, hoffte man mit ihm fertig zn wcrdeu. Aber noch wurzelteer zu tief in den mittleren Schichten des Volkes nnd in weitenKreisen der Beamtenschaft, nnd so erhob sich ein heftiger Wider-stand gegen diese Reaktion, an dessen Spitze man den allzu gewissen-haften und in seinem Alter auch ruhebedürftigen Kant nur ungernvermißt. Dieser Opposition war die Faulheit des „betrügerischenund intriganten Pfaffen", wie Friedrich der Große Wollner genannthatte, und war das ganze unmoralische uud heuchlerische RegimentFriedrich Wilhelms II. nicht gewachsen. Und ein Jahr nach demErlaß des Edikts erhob sich im Westen die große revolutionäreSturmflut, die uuter ihreu Wogen schließlich Freuud und Feind,Aufkläruug und Reaktion verschlingen sollte.
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