Druckschrift 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
392
Einzelbild herunterladen
 
  

392

1843 bis 1871- Die Begründung des deutschen Reiches,

aber auch nicht verstehen konnten, daß ein Hauptstück ihres Pro-gramms von ihrem Gegner verwirklicht sei. Indem sie gegen diedoch erst-teilweise errungene Einheit die Forderungen der Freiheitausspielten uud über ihre Vergewaltigung dnrch Bismarck klagten,bildete sich im Bruch mit ihnen die nationalliberale Partei, welchevon 1866 bis 1879 unser politisches Leben beherrscht oder richtigerunter Bismarck die politischen Geschäfte besorgt hat. Der ganzeVerlaus der Dinge aber forderte den Liberalismus zur Einkehrbei sich und zn ernstlicher Selbstkritik aus, wie sie damals deraltliberale Baumgarten iu eindringender Weise an ihm übte.

Noch aber sehlteu die Süddeutschen. Ausgeschlossen vomNorddeutschen Bund waren sie freilich insgeheim bereits dnrchSchutz- und Trutzbündnisse enger mit diesem verbunden, als dieWelt wußte und ahnte. Und der Zollverein, der sich schon 1864neu besestigt und die Versuche Österreichs in ihn einzudringen oderihn zu sprengen siegreich abgewehrt und damit bewiesen hatte, daßdie materiellen Interessen politischen Sympathien und Antipathienvorgehen, brachte nun das erste Organ der vollen Einheit undEinigung, das Zollparlament. Damit kam nun endlich KarlMathys Gedanke siegreich zu Ehren: dieses Zollparlament schiensörmlich nach der Ausgestaltung zu eiuem Vollparlament zu rufe».

Während sich aber im Norden trotz aller auch da noch bestehen-den Gegensätze ein erfreuliches politisch-Parlamentarisches Leben ent-wickelte mit viel energischer Arbeit auf dem Boden der Gesetzgebung,standen wir im Süden isoliert und innerlich uoch immer in wildenPnrteigegensätzen zerrissen, traurig und neidvoll beiseite. Liebersranzösisch als preußisch! konnte man bei den württembergischenund deu nicht zu ihrer Freude annektierten Frankfurter Demokratenhören, und die nationale Partei war außer in Baden auch jetztnoch überall in der Minderzahl. Und war es vor dem AuSbruchdes Krieges natürlich, wenn ein Parteimann wie Treitschke seineStelle an einer süddeutschen Universität freiwillig niederlegte, sowar es uach dem Abschluß der Schntz- und Trutzbündnisse dochverwunderlich, daß die württembergischc Regierung den ProfessorPanli in Tübingen , der sie und das Königshaus freilich in derForm nicht eben taktvoll kritisiert und angegriffen hatte, znr Nieder-