Das Socialistengesetz und die Ära der socialen Reformen,
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der gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie in dieErscheinung. Und diese Bekämpfung hatte durch die unbestimmteFassung des Gesetzes und der davon betroffenen Bestrebungen etwasWillkürliches, die Ausweisung, welche verhängt werden durste, ver-nichtete die Existenz zahlreicher Familien und war von einer nn-leugbareu Härte, die Beschränkung der Preß- nnd Koalitionsfreiheit,die Zerstörung aller Arbeiterorganisationen und die Auslösungoder das Verbot aller Arbeitcrversammlungen wurde recht alsAusnahmemaßregel und als Eingriff in die bürgerliche Freiheitund Gleichberechtigung empsundeu, auch die Maßregelung ein-zeluer wurde durch untergeordnete Potizeiorgane in einer ostrecht uugeschickteu und brutalen Weise gehandhabt. Die all-jährlich im Reichstag darüber stattfindenden Behandlungen, beidenen den socialdemokratischen Abgeordneten allein noch ein offenesWort möglich war, brachten ein auch ihre Gegner erschreckendesMaterial zu Tage, uud die Leidenschaftlichkeit und Sophiftik, mitder auch Regierungsvertreter diese Dinge zu verteidigen suchten,machten keinen erfreulichen Eindruck.
Infolgedessen wirkte das Soeialisteugesetz ähnlich, wie etlicheJahre zuvor die Maigesetze auf die Katholiken gewirkt hatten —verbitternd und die Gegensätze verschärfend. Daß Bismarck nochheute bis zu feinem Tod nnd über diesen hinaus den Social-demokraten verhaßt ist bis auss Blut und sein und KaiserWilhelms I. Andenken von ihnen verflucht wird, uud daß so geradeiu unserer besten und liebsten nationalen Empfindung ein Rißdurch unser deutsches Volk hindurch geht, daß Vaterland und alleswas national heißt, von der Socialdemokratie verlacht nnd mit Füßengetreten wird nnd damit jede Spur vou dem nationalen SocialismusLassalles aus ihr verschwunden ist, das findet im Socialistengesetz undin den persönlichen Ersahrungen der bedeutendsten Socialdemokratenaus dieser Zeit seine Erklärung und, müssen wir zugeben, bisauf einen gewissen Grad leider auch seine Rechtfertigung. Positivaber wirkte diese Verfolgungs- und Leidcnsperiode ans die Social-demokratie einerseits einigend: daß die alten Gegensätze zwischenden beiden Richtungen so rasch verschwanden und die Partei trotzaller persönlichen Streitigkeiten und Reibungen, die die Oberfläche