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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: äs sisoiö«.

politischen Parteistclluug und Nationalität beurteilte und nur selten einmal von dem sachlichen Werte überwältigt seinen falschen Maßstab aus der Hand legte nnd vergaß. Dabei standen immer Einzelne im Vordergrund, ein Held, ein Individuum, weshalb denn auch die historische Biographie einen so großen Aufschwung genommen hat; nnd wohl ihr, wenn dann Helden wie Friedrich der Große oder Bismarck ihr würdiger Gegenstand sind. Auch die Denkmalswut unserer Zeit hängt damit zusammen, sie ist nicht bloß ein Zeichen von Dankbarkeit des Volkes gegen seine Führer, sondern auch eine Verfallserscheinung, wie in Athen die 360 dem Demetrius Phalereus errichteten Bildsäulen.

Die Hegelsche Schule hatte eigentlich andere Ideen von Ge­schichte und Geschichtschreibung: das Individuum wurde von ihr nicht übersehen, aber es stand ihr nicht im Vordergrund des Inter­esses. Sie suchte auch in der Geschichte Ideen und Gesetze, die Philosophie der Geschichte war ihr wichtiger als die einzelnen Thatsachen. Das war nun freilich rasch genug überwunden, man streitet heute sogar darüber, ob es in der Geschichte überhaupt ein Allgemeines und ob es also eine Philosophie der Geschichte gebe; jedenfalls die Geschichte selbst habe es mit der Erforschung der Einzelthatsachen zu thun. Allein wenn wir an Rankes Welt­geschichte denken, finden wir ja auch hierdie Ideen", wenn auch etwas anders gewendet uud gedeutet, als die großen weltgeschicht­licheil Tendenzen, Gegensätze und treibenden Kräfte, deren Ursprung von dem Nomantiker auf die göttliche Wirksamkeit zurückgeführt, also ins Transcendente verlegt wird; in der Welt des Scheins aber hat auch er sie ganz empirisch aufgesucht, nnd ihre Träger waren dann die großen historischen Einzelpersönlichkeiten, die er gelegentlich so meisterhaft zu schildern verstand.

Rein empiristisch war dagegen die Lehre vom Milieu und seiner Bedeutung, wie sie doch auch Sybel in seiner französischen Nevolutionsgeschichte so entschieden anerkannte, empiristisch und kollektivistisch zugleich. Aber der specifische Kollektivismus war doch noch etwas anderes, war das, was Marx vertrat und was deshalb heute als marxistische oder materialistische Geschichtsauffassung be­zeichnet wird. Charakteristisch dafür ist der ausgesprochene Deter-