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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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Signatur der Zeit. 43

harrend. Das Kunstgewerbe war so tief gesunken wie nie, wovonschon die klägliche Ausstattung der Bücher zeigt; denn Buchdruckund Bucheinband sind ein untrüglicher Gradmesser für das Kunst-bedürfnis des täglichen Lebens. Die Hauptfreude der angeregterenNaturen war noch immer neben eifriger Lektüre Gespräch undBriefwechsel; Salons wie der der Rahel in Berlin mußte jederbesuchen, der sich als Glied der geistigen Aristokratie fühlte. Unddas Bestehen einer solchen wurde noch unbedingt anerkannt. PrinzLouis Ferdinand, der ritterliche Held, der bei Saalfeld fiel, hatteiu Rahels Haus verkehrt; die Staatsmänner und Adeligen fuhrenfort, dort ein- und auszugehen.

Als ein neuer Zug im Leben ist etwa das Zunehmen derReisen zu erwähnen. Regelmüßige Badereisen fangen an Mode zuwerden; aber auch große Forschungsreisen wie die Chamissos (18161818) folgen auf Humboldts bahnbrechendes Beispiel, undin dem Fürsten Pückler tritt der ersteWeltenbummler" großenStils aus. Daß man von der Reise ausführliche Schilderungenin die Heimat schickt, versteht sich von selbst; aber sie zu veröffent-lichen, wird erst seit 1830 üblich. Innerhalb Deutschlands reistman aber noch merkwürdig wenig; Schwaben ist den Berlinernund Berlin den Schwaben noch ein mythischer Begriff; Österreich aber suhlte sich zumReich" iu viel schärferem Gegensatz als nach1866. Hingegen stehen sich die Berufsstände noch nicht so schroffgegenüber wie später, als die politische Bewegung das Bürgertumin Feindschaft zu Beamtentum und Lffizierkorps brachte. DerBegriff der geistigen Aristokratie steht eben noch über Rang- undKlassenunterschieden. Daß ein hoher Beamter wie Philipp Josephvon Rehfues (17791843), der erste Kurator der UniversitätBonn , zugleich ein hervorragender Schriftsteller ist wir ver-danken ihm den oft etwas breiten, aber in Landschafts- undCharakterzeichnung glänzenden historischen RomanScipio Cicala"(1832) war damals so wenig eine auffallende Erscheinung,wie daß ein preußischer General sich darauf freut, im Feldzug dieGegend zu sehen, in der ThümmelsReisen in die mittäglichenProvinzen von Frankreich " spielen.

In litterarischer Hinsicht bedeutet dies Jahrzehnt fast ganzeinen Stillstand. Hervorragende Persönlichkeiten fehlen nicht, aberEroberer auf dem Gebiete der Kunst sind selten.

Adelbert von Chamisso (17811838) hat in seinem be-