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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18401850,

wir so vortreffliche Analysen der Stormschen Dichtung verdanken,wie wir sie nur von wenigen deutscheu Poeten besitzen, ErichSchmidt und Panl Schütze, haben nicht verfehlt, die VerwandtschaftStorms mit der Romantik hervorzuheben. Romantisch ist diesstarke Unterscheiden der poetischen Einsamkeit von dem prosaischenLebenslnrm, ist Storms Naturempfiuduug überhaupt, sür dieSchütze mit Recht einen Spruch Goethes citiert:Das sogenannteRomantische einer Gegend ist eiu stilles Gefühl des Erhabene,?unter der Form der Vergangenheit oder, was gleich lautet, derEinsamkeit, Abwesenheit, Abgeschiedenheit." Das scheint in derThat wie aus Storm gemünzt:

Kein Klang der aufgeregten ZeitDrang noch in diese Einsamkeit.

Romantisch ist seine Vorliebe für Künstlerromaue oder doch dieNeigung, den Heldenvon der Prosa des Lebens abgewandt" dar-zustellen und diese Tendenz etwa noch durch einen realistischenGegenspieler (wie inJmmensee") zu verstärken. Und dennoch istStorm nicht Romantiker im vollen Sinne des Wortes; er ist ebenein Nachkomme der Romantik, den die politisch-historische Richtungeiner neuer Zeit berührt hat. Daher zweierlei: im Gegensatz zuder unbestimmt-idealisierenden Traumwelt Eichendorffs ein rea-listisches Individualisieren der poetischen Erdenwinkel; und imGegensatz zu Breutauos Schwelgen im Dichtergesühl eine ernste,kunstvolle Technik. Denn wer sich wie Storm und Freytag undFontane mit der Vorstellung von der rechten Eigenart nnd Tüch-tigkeit deutschen Wesens erfüllt hatte, dem konnte die altromantischeVerachtung aller, auch selbst der künstlerischen Arbeit nicht in denSinn kommen.

Theodor Storms romantische Welt ist nicht aus dem Gegen-satz zu der wirklichen oder doch mindestens nicht aus ihm alleinherausgeboren, wie etwa Brentanos Bilder aus dem frommenMittelalter. Sie ist eben nur der poetische Nachklang der wirklichund zwar mit größter, seltenster Bestimmtheit ausgenommenenJugeudeiudrücke. Das schafft ihr ihre Wahrheit, wo das Lebendes EichendorffschenTaugenichts" eiu freilich entzückender Traumnnd BrentanosArme Frau vom Hennegau" ein wenn auch reiz-volles Spiel bleibt.

In der kleinen alten Handelsstadt Husum in Nordfrieslandist Theodor Storm (14. September 1817) geboren. Es ist eiu Ort,