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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18401850.

ausgäbe. Der Standpunkt der Gruppe ist danach im ganzenklar genug. Das ist die Hauptsache, daß in einer Zeit, die dasVerständnis für wahre Poesie immer mehr über der Überschätzunghier der Form, dort des Gedankeninhalts verlor, die drei Holsteinerwieder erkannten und betonten: in der inneren Form liege daseigentliche Merkmal der Poesie, in der künstlerischen Anschauung,in der vollkommenen Durchdringung von Form und Inhalt.

Storms eigene Praxis ist noch nicht gereist, obwohl er poe-tisch schon jetzt der Bedeutendste ist. Aber den ästhetischen Stand-punkt des Büchleins hat er immer beibehalten: die Abwehr vonNeflexionspoesie und leerem Formenspiel, die energische Betonungder Stimmung als des Hauptfaktors der Lyrik. Am deutlichstenspricht sich diese Stellung in seiner ausgezeichneten Auswahl deutscherLyrik aus, die er alsHausbuch aus deutschen Dichtern seitClaudius" (1870) herausgab. Die Einleitung lehut vor allem diePhrase in der Lyrik scharf ab und verwirft die patriotische Rhe-torik; die Auslese selbst kümmert sich nicht um berühmte Namen,sondern sucht Ursprünglichkeit uud Stimmung. Im ganzen wirdman zu einer Übersicht unseres Schatzes an echter reiuer Lyrikvon Claudius bis zu Storm keinen besseren Führer finden.

Storm hatte sich (1842) in seinem lieben Husum als Advokatniedergelassen, bis (1853) die dänische Regierung den eifrigendeutschen Patrioten, der in Liedern sein Schwert geschwungen hatte,aus der teuren Heimat trieb. Er ging nach Prenßen; aber trotzden angeregten Dichtergesellschaften imNütli" nnd imTunnel"konnte er sich in Potsdam nicht eingewöhnen. Theodor Fontane hat den Gegensatz, in den Storm mit seiner allzu laut gepflegtenHusumerei" zu deu Preußen geriet, uicht ohne Schärfe geschildert-und man sühlt, daß auch Storms ästhetischer Purismus ihn denGenossen entfremdete. Der Romantiker, dem die Poesie die Haupt-sache, eigentlich der allein ernst zu nehmende Inhalt der Existenzblieb, und der Realist, dem das Leben selbst die Hauptsache war,standen sich hier in charakteristischen Typen gegenüber.

Storm wurde dann (1856) als Kreisrichter in das entlegenekatholische Heiligenstadt in der Provinz Sachsen versetzt, wo er sichschon eher gefiel; aber sobald die politischen Verhältnisse es gestatteten,kehrte er (1864) in die Heimat zurück. Seiu Glück wurde balddurch den schwersten Verlust getrübt: seine geliebte, schöne, viel be-sungene Gattin Constanze starb (1865). In folgenden Jahre gab