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1840—1850.
als das Singen der durch das Zauberwort erweckten Welt. Undwie sie seinen Figuren zum Gesang wird, so vor allem auch demDichter selbst.
Die Lyrik ist für Storm, was sie für die Poesie aller Völkerist, die eine lebendige Poesie überhaupt ihr eigen nennen, was sieauch sür Goethe war: die notwendige Uuterströmung aller höherenGestaltung, die Voraussetzung für Epos oder Roman so gut wiefür das Drama. Sie ist nichts anderes als die Anerkennung der-poetischen Welt selbst. Es werden nicht etwa „poetische Momente"aufgesucht, noch weniger fertige Empfindungen nachträglich — wiemeist bei Hebbel — in Verse gebracht; sondern was das Zarteste,das Beste, das innerste Leben des Dichters erweckt, das wird ihmvon selbst zum melodischen Vers. Daher geht gerade diese reineLyrik in der Regel von einer bestimmten Situation aus, wie dieVolkslieder gern mit einem typischen, Stimmung erweckenden Natur-eingang („Es steht eine Linde in jenem Thal, ist oben breit undunten schmal") einsetzen. Der Gesang der Nachtigall in der Nacht,die Heimkehr aus einer lauten Gesellschaft, ein Chorus von Natur-stimmen wie in dem unvergleichlichen „Juli":
Klingt im Wind ein Wiegenlied,Sonne warm herniedersieht,Seine Ähren senkt das Korn,Rote Beere schwillt am Dorn,Schwer von Segen ist die Flur —Junge Frau, was siuust du uur?
Der leise Sommerwind selbst scheint diese Klänge herüberzutrageu,der Dichter hat sie bloß nachgeschrieben. Wie in der Volkspoesiesind es vor allem die großen, immer wiederkehrenden Momente,die zum Lied auffordern: Liebeswerben, Begraben der Liebsten;seltener erklingt das Festlied, was mit dazu beiträgt, auch derSammlung seiner „Gedichte" (1853) den „Mollton" zu geben,den Erich Schmidt darin hört. Dagegen fehlen die uralten natio-nalen Gelegenheitslieder nicht, und so ertönt auch bei Storm inzornigen oder freudigen Liedern das Gefühl des innigen Anteilsan den Geschicken des Vaterlandes, der Zorn über dänische Be-drückung, deutsche Uuentschlosseuheit, über das verräterische TreibenEinzelner. Die Didaktik selbst, dnrch wenige, aber goldene Gedichtevertreten, wird zur Gelegenheitspoesie — wieder nach uralter Art.Hebräische uud altspanische, altenglische und altdeutsche Volksdichtuug