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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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HeyseS Persönlichkeit,

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bezeugt übrigens der unerfreuliche Ausdruck verstimmter Tagestellt ihn neben Marie v. Ebner-Eschenbach . In all dem ist erder Erbe, der die vielfältigen Tendenzen einer suchenden, greifendenZeit in sich vereint. Ihm eigen ist gerade dies: der leidenschaft-liche Kampf gegen das Häßliche. Als der gealterte doch dasdarf man von dem uoch immer iu apollinischer Schönheit erglänzen-den Manne nicht sagen; als der nicht mehr jugendfrische Dichter inden Epigrammen desSpruchbüchlcins" und schroffer noch in dembösen, denBertram Vogelweid" fern hinter sich lassenden Tendenz-romanMerlin" (1892) die modernen Naturalisten angriff, dawunderte man sich, wie heftig und scharf der Mann der harmoni-schen Milde werden konnte. Und doch war Heyse vielleicht niemehr Heyse als gerade damals. Der Faltenwurf fiel ab, und dernackte Kämpfer stand da kein gerechter Nichter, nein, aber einerbitterter Kämpfer um seine heiligsten Güter. Und damals wardseine Entwickelung am klarsten. Von der Romantik ging er aus,und ein klassisch gefärbter, liberal denkender, an romanischer Artgeschulter Romantiker ist er uoch heut. Keinreaktionärer Ro-mantiker", aber eiu Romantiker im Kern seiner Weltanschauungund vor allem seiner Knnstlehre.

Den für die Litteratur fruchtbarsten Konflikt dieser Zeit er-blickten wir in dem Kampf zwischen Pessimismus uud Lebensfreude.Naturen wie Hamerling und Leuthold blieben darin stecken; stärkereTemperamente suchten statt der zerstörten Freude an der altenbunten Welt eine neue aufzubauen, au der sich das Herz erfreuenkönne. Wo Spielhagen als Politiker im großen Kreise wirkenwollte, erwählte Frau v. Ebner - Eschenbach sich den Beruf derErzieherin im engeren Bezirk. Der große Bismarckverehrer Heyse,der diesen Heros schöner gefeiert hat als irgend ein anderer Dichter(Fürst Bismarck in München " 1892), der Feind der Ultramontanensteht der Politik nicht so sern, wie die treffliche Novellistin; zumPädagogen aber ist er ganz verdorben. Ihn lockt es nicht, diewirkliche Welt umzugestalten, nicht im großen, noch im kleinen;seine Sehnsucht ist die Mörikes: durch die Kunst zu ersetzen, wasdie Wirklichkeit versagt.

Schon in dieser Abkehr von thatkräftigem Eingreifen in dasWeltleben liegt eiu romantisches Element. Stärker zeigt es sichin der Specialisierung des Ideals. Was versagt die Wirklichkeitnicht alles! Marie v. Ebner sieht vor allem, wie hundert Formen

Meyer, Litteratur. 39