glv 18S0-1860.
des „Schädlichen" das Gute unterdrücken, wie Habsucht, Ehrgeiz,Unredlichkeit der einfachen Güte Licht und Luft rauben. Spiel-hagen sieht der politischen Gerechtigkeit, Riehl der altdeutschen Art,Gustav Freytag dem rechten bürgerliche!? Weseu den vollen Nanmin der Wirklichkeit versagt, und ihre Dichtung strebt unwillkürlichdahin, hier nachznhelsen, auszugleichen. Keins von diesen allge-meinen Problemen regt Heyse auf: Individualist durch und durch,vermißt er das in erster Linie an der Wirklichkeit, daß sie derIndividualität freien Raum versagt. Das will er seinen Gestaltenanzaubern. „Ausleben" ist die große Parole. Marie v. Ebner,die leidenschaftlichere, stärker begehrende Natnr, führt ihre Lieb-linge zu dem großen Moment der Selbstüberwindung; Paul Heyse ,die zartere, harmonischer stilisierte Persönlichkeit geleitet sie zu demAugenblick, da sie in dem seligen Aufflammen der Leidenschaft sichverzehren. Die Liebe vor allem, als die schönste der Leidenschaften,wird er nicht müde zu diesem Gipfelpunkt zu führeu. In seinemglänzenden Essay über Heyse meint Georg Brandes , dieser habefast systematisch Fälle aufgesucht, in denen die Leidenschaft ihrhöheres Recht gegenüber der geltenden Moral behauptet; vor allemin dem Romau „Im Paradiese" habe er „prinzipiell die Freiheitder Liebe im Gegensatz zu den Gesetzen der Gesellschaft als Problembehandelt und als Recht verteidigt". Aber Brandes faßt hierHeyse, wie mir scheint, zu jungdeutsch auf. Die Kämpferstellnngwider die geltende Moral ist dem Dichter Nebensache, oder, bessergesagt, sie ist ihm nur ein Einzelfall: jene Moral ist nur eine dervielen Möglichkeiten, wie die Wirklichkeit das Ausleben der Persön-lichkeit hindern kann. In der Seele selbst leben noch andereWachter: die Schüchternheit, die Empfindlichkeit gegen die leisesteVerletzung, die Veränderlichkeit der Stimmung, vor allem der Trotz.Brandes citiert das Wort des dänischen Denkers Kierkegaard , dasWesen des Weibes „sei eine Hingebung, deren Form Widerstandist". Das ist in der That auf zahlreiche Novellenheldinnen Heyseswie eigens gemünzt. Wie langsamer Widerstand erlischt und dieSeele, ganz nur noch eine Leidenschaft, hinschmilzt in einemglühenden Kuß — das ist die Situation, zu der fast immer seineNovellen und Romane, oft anch seine Dramen („Die WeisheitSalomos" 1887) hindrängen. Was Gesellschaft und Staat er-lauben oder verbieten — denkt er daran in der mitfühlendenWonne dieses Augenblicks? Nachher vielleicht: