776 1880—1890.
entscheidet. Angeboren ist ihr eine leidenschaftliche Sehnsucht nachÜbermenschen im romantischen Sinne: nach hohen, sonnigen, sieg-reichen Individualitäten, denen das Leben in schönem Spiel zumbewundernswerten Kunstwerk wird. Diese Sehnsucht ward nurgesteigert durch eine philiströse Umgebung, wie sie in der alten, seltengelüfteten Ehrbarkeit der guten Familie thüringischer Mittelstädtewohl zu einer gewissen Vollkommenheit gedeihen mag. „Einekleine deutsche Stadt, wie mein Geburtsort war", schrieb HeinrichLeo aus Nudolstadt, „bietet als durchschnittliche Bevölkernng nurmittellose Mediokritäten. Geistig exzentrische Naturen halten in soengen Räumen selten aus."
Der alte dort heimische Kultns der traditionellen „edlenKunst" mußte für die junge Feuerseele nur ein aufreizendes Ärger-uis mehr werden. Sie sehnte sich nach lebenden Schönheiten, undman wies ihr Goethes Totenmaske in Watte eingepackt vor. Siehat ihrem Haß auf die herzlose Gemütlichkeit, wie sie sich in solchenKreisen wohl entwickelt, in der blutigen Satire „Verspielte Leute"(1898) Ausdruck gegeben, leider aber im Übermaß des Ingrimmsdie Wirkung durch einen gewaltsamen Romanschluß beeinträchtigt.Früher nahm sie das altweimarische Philistertum harmloser; essreute sie, die alten Zöpfe durch übermütige Jugend ein wenighänseln zu lassen. So entstanden ihre prächtigen „Ratsmädel-geschichten" (1888) — diese bald von so düsterer Leidenschaftlichkeithingerissene Dichterin begründete ihren Ruhin mit einem dersonnigsten Bücher unserer Litteratur. Familienerinnerungen anGoethe und seinen Sohn August, an Schopenhauer uud dieFranzosenzeit werden von einem heitern oder doch nach Heiterkeitverlangenden Geist durchdrungen, und die verehrte Riesengestalt desGrößten von Weimar blickt in das fröhlich-übermütige Treibenreiner Kinderherzen gutmütig-großartig hinein. In der Fortsetzungdieser Heimatserinnerungcn tritt dann aber bald ein ernstererTon ein. Der Blick richtet sich von den zwei lustigen, schönenMädchen ans Weimars goldenen Tagen auf „Adelsmenschen, nichtdes Genusses, aber auf die ganz starken, die ganz zuverlässigen"(„Altweimarische Liebes- und Ehegeschichten" 1897). Dann beginntauch der Klang persönlicher Lebenserfahrung schärfer zu werden.Nun schrieb sie nicht mehr „wahrhaft glückselig, stand vor lanterWonne auf einem Bein während des Schreibens, pfiff und warder besten Dinge" („Ratsmädel- und Altweimarische Geschichten"