TESTAMENTE DES VATERS CANDIANO
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leben. Wie stimmen nun diese Kinder mit denen des ersten Testamentes überein? Alsseinen Sohn nennt Vater Candiano 1368 denMoreto; im zweiten Testament steht aberAlmorö, die venezianische Form für Ermolao. Der Gedanke liegt nicht fern, daßdas erste die Koseform des zweiten ist, denn Ermolao scheint zur Zeit des erstenTestamentes ein kleines Kind zu sein 12 , während er im zweiten Testament bereits alsvolljährig genannt wird. Bei den Töchtern sind die Angaben der beiden 21 Jahre an-einanderliegenden Testamente völlig voneinander abweichend. 1368 nennt er eineTochter Lucia, die in dem spätem Dokument nicht mehr vorhanden ist, dagegen trittsie in dem Stammbaum, den Capellari zeichnet, als einzige Tochter des Candiano auf.Es fehlen indessen bei Capellari die zwei Töchter Polissena und Franceschina Clara, dieder Biograph Barbaros, der Padre Giovanni degli Agostini, namhaft macht und dieauch aus dem Auszug, den der erwähnte Marco Barbaro aus dem amtlichen Standes-amtsregister der Venezianer machte, dem liber nuptiarum, nachzuweisen sind 1 '. DerHauptgewinn, den wir aber aus dem ersten Testament von 1368 ziehen, ist die Tat-sache, daß der Vater des Francesco Barbaro zweimal verheiratet war und daß es indieser Familie Stiefgeschwister mit erheblichem Altersunterschied gab. Hierin istvielleicht der Grund zu suchen, daß uns Francesco seine beiden ältesten Brüder ganzverheimlicht 14 . Bedeutung gewinnt nur der dritte Bruder Zacharias.Das erste Testament blieb also verschlossen und trat nicht in Kraft, weil Fran-cescos Vater Candiano noch 23 Jahre weitergelebt hat und zwei Jahre vor seinemTode ein zweites Testament verfaßte, das Gültigkeit erlangte. Während das ersteauf einem starken, gelblichen, gefalteten Papier flüchtig mit schwer leserlicher Handvon Candiano selber geschrieben ist, ist das zweite nicht das Original des Testa-mentes, sondern ein offizielles Aktenstück der zuständigen venezianischen Behörde,der Prokuratoren von San Marco de ultra (canalem), die erste notariell beglaubigteKopie, die man von der Niederlegung des letzten Willens des Candiano Barbarogenommen hat. Dieses Schriftstück ist so interessant, daß eine nähere Beschreibungmit den Folgerungen aus den einzelnen Punkten berechtigt erscheint.Eine Testamentseröffnung war in Venedig, namentlich wenn bei Minderjährigkeit derErben der Staat die Vermögensverwaltung von sich aus bestellen mußte, eine feierlicheAmtshandlung des Dogen; in etwas ungelenkem lateinischem Amtsstil wird erzählt,wie er sich umgeben von seinem großen und kleinen Rat auf seinem Throne nieder-läßt, der hehren Pflichten seines Amtes gedenkt und den Bedrängten und WaisenHilfe verheißt. Alsdann treten vor ihn hin der Senior des Hauses Barbaro, Marco, denwir aus dem Steuerzensus von 1379 als den Reichsten der Familie kennenlernten;er wird uns später nochmal bei der ehrenden Erwähnung in Francesco BarbarosWerk de re uxoria begegnen 15 ; ihm folgt die Witwe Constanza und der volljährigeSohn Ermolao, sowie die von Candiano selber bestellten Vermögensverwalter, dieProkuratoren von San Marco. Ihr Sprecher teilt dem Dogen ehrerbietig mit, Candianohabe mit eigner Hand ordnungsgemäß auf einem Papierbogen (in quadam policabombicina) seinen letzten Willen niedergelegt, der sich nach seinem Tode offen ineinem Hefte fand. Der Doge wird sodann untertänigst ersucht, in die Eröffnung