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I HERKUNFT UND JUGEND
nutzsüchtige Einrede der Ungebildeten fährt Guarino mit eiferndenWorten los, die von der frischen Begeisterung der neuen idealenhumanistischen Lebenshaltung glühen, die den jungen Freund mutigmachen und ihm den Rücken stärken sollen: «Die Lästerworte dieserMißgünstigen, das weiß ich wohl, wirst du zu hören bekommen ...
damit sie dich zu ihresgleichen machen___ Lassen wir sie sich im
Schmutze ihrer Unwissenheit wälzen; um Taube handelt es sichl — Duaber sprich mit dir in deinem Herzen also: Mit allen Kräften des Geisteswie des Leibes trete ich freudig an das Studium der göttlichen Tugendheran; sie ist des Menschen wahrer Schatz; wenn alle andern gewichensind, wird sie dem Lebenden zum dauernden Gefährten, und auch denToten verläßt sie nicht, ihm großen Glanz des Ruhmes und Beifall imLeben und im Tod gewährend ... Diese Tage des Lebens schenkte mirdie gabenreiche Natur, und man soll von mir nicht sagen, daß ich siein müßigem Werke verbracht (wie widersinnig!), ei nein vielmehr daßich sie zur höchsten Vollendung gebracht habe. Toten sind alle, diediesen Vorsatz je vergaßen; sie wollen lieber der nichtsnutzigen Wollustgefrönt haben, und so verabscheut sie das gegenwärtige Leben, und daszukünftige martert sie mit ewiger Geißel. Ach ihr Armen, denen dasso vollkommen verschiedene Los des Lasters und der Tugend verborgenblieb...» Ganz sachte gleitet hier Guarino von den klassischen Studien,die er mit einer christlichen Bezeichnung als «sacrum dogma» preist,zur christlichen Moral über. Das «divinum iter», — im Mittelalter dieasketische vita contemplativa — wird ersetzt durch die «eloquentia»,den Inbegriff klassischer Bildung für den Humanisten; das Wider-spiel aber, die «nequitiae libidinosae» und die bevorstehenden Höllen-qualen mit den «flagellis sempiternis», bleibt hier wie dort dasselbe.Wie bei Petrarca, dem Ahnherrn des Humanismus, findet man auchbei Guarino die eigentümliche Verquickung von Christentum und an-tikem Heidentum. Wir finden sie auch in Francesco Barbaro ver-schmolzen, aber bei dem Tatmenschen kommt noch ein drittes, dasjeweilige Gebot der Stunde, hinzu, die Art nämlich, wie er die imbeschaulichen Leben erkannten Dinge sofort in Tat umsetzt.Und nun das Persönliche dieses Briefes: Wo die Freundschaft Guarino-Barbaro verankert ist, so daß sie ihr ganzes Leben hindurch währt, wird