Druckschrift 
Francesco Barbaro : Früh-Humanismus und Staatskunst in Venedig / Percy Gothein
Entstehung
Seite
23
Einzelbild herunterladen
 
  

GUARINOS BRIEF AUS KONSTANTINOPEL 23

aus der mitgeteilten Stelle deutlich. Unverankerte Freundschaften haltenden Stürmen des Lebens nicht stand, und bloße persönliche Zuneigungist kein genügend sicherer Boden, an dem man sich bei der Wankelmütig-keit menschlicher Launen festklammern könnte. Wenn den Freundenkein Höheres übergeordnet ist, in dessen Namen sie sich freund sind,scheitert ihr Bund an der ersten unvorhergesehenen Klippe jählings.Guarino ist Träger des neuen humanistischen Ideals und 2ugleich Er-zieher. Das Erzieheramt bietet ihm die Möglichkeit, dieses Ideal zu ver-breiten. Sein ganzes Leben ist darauf gerichtet, den Humanismus in dieHerzen seiner Zöglinge, die in die leitenden Stellen des Staates empor-wachsen, zu verpflanzen. Auch dieser Brief dient solchem Bemühen. Erweiß wohl, wen er vor sich hat, einen Jüngling, seinen Freund undSchüler das ist die persönliche Seite aber es ist vorauszusehen, daßdieser Jüngling, Sproß einer edlen Familie aus der regierenden Schichtder mächtigen Inselstadt, nach seiner Herkunft ein Leben der Tat führenund mit den Jahren zum leitenden venezianischen Staatsmann heran-wachsen wird. In dieser neuen Verbindung von Humanisten und Staats-mann hegt die eigentümliche und lang nachwirkende Bedeutung ihrerpersönlichen Freundschaft. Die Tatsache, daß nicht nur Dichter undGelehrte, in denen das neue Feuer zuerst zündet, von der sich ausbreiten-den geistigen Bewegung ergriffen werden, sondern auch Männer der Tat,bedeutet für den Humanismus den Schritt auf eine neue Stufe der Wirk-samkeit. Für Guarino mußte es von vorneherein entschieden sein, daß eraus dem jungen Francesco Barbaro keinen humanistischen Gelehrten undLehrer bilden könne, sondern den humanistischen Staatsmann, den esbislang in der Welt noch nicht gab. Eine zweite große Aufgabe für Guarinowar die Bildung des humanistischen Fürsten, die er an dem schon23 jährigen Lionello d'Este vollzog. Während der florentinische Huma-nismus ausschließlich auf die gelehrten Studien eingestellt ist, sieht deroberitalienische von Anfang an seine Aufgabe in der Ausbreitung durchUnterricht. Neben Guarino, der in Venedig, Verona und Ferrara wirkt,ist es dort der große Erzieher Vittorino da Feltre , der die FürstensöhneGonzaga in Mantua bildete. Beide versammelten daneben eine große An-zahl von Schülern aus aller Herren Länder um sich. Der größte StolzGuarinos war aber Francesco Barbaro .