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Francesco Barbaro : Früh-Humanismus und Staatskunst in Venedig / Percy Gothein
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NORMA BENE VIVENDI

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die Mutter der Tugend und die Lehrmeisterin des Lebens. Die vortreff-lichsten Einrichtungen und die besten Sitten, die uns aus der Vorzeitüberliefert sind, wären erst dann recht wirksam, wenn sie durch Lebenund Taten berühmter Menschen erläutert würden. Die Vorfahren (ge-meint ist im Altertum) hätten die Statuen von Sokrates, Plato, Aristo-teles und anderen auf ihren Märkten und in ihren Tempeln aufgestellt,«ut vel tacita eorum monumenta vitae suae conferrent! (daß sie auch derenschweigende Standbilder mit ihrem Leben verglichen) 18 ». Nun ist derZweck der Übersetzung die Wirkung auf die Lesenden und deren geistigeUmformung. «Doch werde ich mich», schreibt er an den Bruder, «wie ichglaube, um dich und die anderen edlen Männer wohl verdient gemachthaben, wenn ihr gleichsam die NORM des rechten Lebens vor Augen habtund durch meine aufrichtige Mühe (ingenuo labore) besser und gelehr-ter werdet.» Mag auch seine Übersetzung, auf die er, wie er selbst sagt,nicht viel Zeit verwandt hat, vieles zu wünschen übriglassen, aus seinenWorten geht echte Begeisterung für die neue Lebenshaltung hervor, in dieer von Kind auf hineingewachsen ist und die spannkräftig genug war, dieganze Welt zu erobern. Auch steht hier das Zauberwort, das diese strengenund untadeligen Charaktere als den Sinn spüren, warum sie das Alter-tum so hoch hielten: norma bene vivendi. Barbaros Worte sinddie Guarinos und Guarinos sind die Barbaros wir erinnern uns an denschönen Ausspruch Guarinos, mit dem er den Bund stiftete: «Obschonnämlich die Natur uns als zwei Menschen geschaffen hat, so wollte dochaufrichtige Liebe, daß wir nur einer seien 19 .» Hier kommen auf dieahnenden Worte des Lehrers die einstimmenden Worte des Schülerszurück, denn dieser spricht, für uns hier zum ersten Male, ganz vernehm-lich aus dem Geiste seines älteren Freundes heraus, ja, was noch mehr ist, erlebt in Gegenwart und noch mehr in Zukunft ganz aus diesem Geiste underfüllt gerade dadurch sein Bild. Ihn, den Lehrer, preisend fährt Francescofort: «Übrigens ist mir, glaube ich, aus der griechischen Unterweisungunseres Guarino keine kleine oder nur zufällige Frucht gereift, da es mirdurch seine Gründlichkeit innerhalb weniger Tage möglich war, denAristides, den Führer der Athener , zwar nicht mit dem Bürgerrecht, son-dern, was mehr ist, mit lateinischen Worten zu beschenken und jenenstrengsten Cato nach gar lang aufgeschobener Heimkehr zu unseren