AUFBAU DER SCHRIFT: DE RE UXORIA
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beobachtet man, daß Francesco absichtlich das eine fürs andere setzt.So bei der Erzählung von den schönen Jünglingen, die Sokrates ermahnt,in den Spiegel zu sehen, «um sich vorzusehen, daß das Geschenk der Naturnicht zuschanden werde.), und hier schreibt er: «Nun wollen wir zurehelichen Liebe zurückkehren, deren höchste Macht und größte Würde— wie wir von berühmten Männern vernommen haben — beinahe das Bildder vollkommenen Freundschaft darstellt.»Doch decken die Kapitelüber-schriften in dem Werk nicht den Inhalt, sie sind vielmehr für Francescoder Anlaß, weit über den engeren Rahmen des Angekündigten sich überdie antiken und venezianischen Verhältnisse zu verbreiten, wenn sie nurim Zusammenhang mit dem Leben des jungen Ehemannes stehen.Dieses ist sein Hauptwerk; es bleibt eine erstaunliche Leistung seinerJugend von solcher Frische im Klang der Worte wie in der Auffassung,daß man überall den Mut des jungen Verfassers durchfühlt, einen soschwierigen Gegenstand zu bewältigen. Es ging daraus ein für die Ehe-auffassung von Jahrhunderten maßgebendes Werk hervor. Sein Ernstruht in der Verantwortung, Wort und Tat in Einklang zu bringen,selber der erste zu sein, der die Haltung des Menschenbildes einnimmt,wie er sie verkündet.
Wir sehen hier von weiteren Einzelheiten ab und besprechen dieHauptfragen, die das Buch berührt, im ideengeschichtlichen und literar-geschichtlichen Zusammenhang, in dem sie stehen. Obwohl die SchriftBarbaros der humanistischen Schreibgepflogenheit zufolge auf weiteStrecken ein bloßer «Cento», eine Zitatensammlung aus antiken Schrift-stellern ist, zeugt sie doch von großer Selbständigkeit des Denkens,da er nicht wahllos die gangbare Meinung des Altertums über die Ehenoch ebensowenig die christliche Anschauung nachspricht, sondern alsgegenwärtiger Venezianer eine bestimmte Auswahl aus den Ansichtender Alten trifft, von der er meint, sie tauge für die Gegenwart. ZweiStröme haben das Werk gespeist, die antike und die venezianische Über-lieferung, welche die mittelalterliche asketisch-christliche Auffassung derEhe überwinden.
Verhältnismäßig spät hebt im griechischen Altertum, bei den Philo-sophen die theoretische Erörterung über die Ehe an. Sie halten ihregelehrte Tätigkeit mit dem Ehe- und Familienstande für unvereinbar; so