POGGIOS KRITIK AN DEN OBSERVANTENMÖNCHEN 15 7
wollen, daß der Name Christus, nach dem sich die Christen nennen,wichtiger sei als Jesus . Er sieht nur Auswüchse und Midäufer der Be-wegung, der er mißtraut. Poggio hatte keine mystische Ader, wie Fran-cesco Barbaro und noch tiefergreifend und dauernder Leonardo Giusti-niani. So verschloß er sich vor der Erkenntnis, daß dieser Bewegungals Ursprung nicht mönchische Machtgier zugrunde lag, sondern dermystische Hang zur Verinnerlichung der Religion: man konnte eineinnigere Seelenzärtlichkeit dem ersten Namen Jesus als dem HauptnamenChristus entgegenbringen.
Noch ein zweites Mal hat Poggio an Barbaro über diesen Gegenstandgeschrieben, in der Vorrede des, wie wir hörten, Barbaro gewidmetenGESPRÄCHES ÜBER DEN GEIZ 7 , das angeblich zwischen den humanisti-schen Sekretären an der Kurie Cincius und Luscus stattfindet. Hier unter-hält man sich auch über den Führer der Bewegung, den heiligen Bern-hardin selbst. Zunächst werden seine Vorzüge gepriesen: die starke Über-zeugungskraft, um den Sinn der Menschen zu bekehren, sie zur Besserungihrer Sitten anzuhalten und namentlich um ihre Zwistigkeiten beizulegen.Dem folgt der Tadel gegen ihn und die übrigen Prediger: sie lassen sichvom Schwung ihrer Rede hinreißen. Das lange Reden münde schließlichin Geschwätzigkeit aus. Manchmal behandelten sie vor ungelehrten Leutensehr dunkle und dann wieder auch sehr gemeine Dinge. Manche geißeltendas Laster so oft, daß es schiene, als wollten sie es die Leute lehren. Beidiesen Einwänden kommen auch grundsätzliche Gegensätze zum Vor-schein. Der auf das Nur-Verstandesmäßige eingestellte Poggio rügt, daßdie Hörer zwar die Predigten lobten, wenn man sie aber frage, was darinvorkäme, stockten sie und wüßten nichts mehr. Das ist ein bezeichnendverstandesmäßiger Einwand, während es der chrisüichen Predigt doch vorallem auf die Zerknirschung des Herzens, auf die Um- und Einkehr desMenschen ankommt. Welche Wirkung diese Einrede des befreundetenHumanisten auf Francesco Barbaro hervorbrachte, läßt sich nur erraten.Eigentlich lagen alle diese Gründe unterhalb seiner eigenen Seins- undLebenssphäre. Die echte Überzeugungsmacht des großen Predigershatte er unmittelbar an sich erfahren, und nur als staatüchen Menschenin seinem Amt als Statthalter ging ihn das sonstige Gebaren der Obser-vantenmönche etwas an. Gab er nur nach, um in dieser an sich nicht