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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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I. Die Heere nach dem Befreiungskriege

Als ein großer, volkstümlicher Kampf gegen den fremden Unterdrücker hatten im Jahre 1813 die Befreiungskriege begonnen und allmählich alle deutschen Stämme zu einer gemeinsamen Anstrengung fortgerissen. Preußen , das zuerst das Beispiel gab, war auch weiterhin den anderen voran­gegangen. Bis zum Ablauf des ersten Kriegsjahres steigerte es sein Auf­gebot von 271000 Mann, mit dem es, zu Ende des Waffenstillstandes, im August 1813 auf dem Plane erschienen war, noch bis auf 300 000 Mann, so daß nunmehr 6°/ der gesamten Bevölkerung unter Waffen stan­den. Als dann 1814 die Macht des fremden Tyrannen, anscheinend für immer, zusammenbrach und die siegreichen Truppen, des unaufhörlichen Blutvergießens müde, in die Heimat zurückzukehren begannen, lebte in den Herzen der deutschen Patrioten die Hoffnung, daß nach der harten Arbeit der Lohn folgen werde. Der alte nationale Traum sollte sich erfüllen und das deutsche Reich, von einer Kaiserkrone überstrahlt, verjüngt und kräftiger als zuvor, wieder auferstehen. Man glaubte an bessere Zeiten, denen man nach der langen Nacht von Not und Trübsal entgegengehe.

Aber allmählich hatte sich der Nationalkrieg unter dem Einfluß Öster­reichs und Englands in seiner Natur verändert. Er sah zuletzt den Ka­binettskriegen älterer Zeit sehr ähnlich, bei denen Kampf und Verhandlung sich unausgesetzt mischten. Mit dem weiteren Vordringen gegen Westen war Rußlands Interesse mehr und mehr erlahmt. Kaiser Alexanders leb­haftes, soldatisches Temperament hatte sich in den entscheidenden Augen­blicken freilich Wohl noch in energischen Entschlüssen kundgegeben und die kriegerischen Operationen gelegentlich wieder in lebhafteren Fluß gebracht. Als aber der persönliche Ehrgeiz des Zaren durch die erste Eroberung von Paris seine Genugtuung erhalten hatte, wandte anch sein Herz sich von den großen Gedanken aus der Zeit des Aufschwungs ab, da noch Stein und Scharnhorst die führenden Geister waren, und kehrte zu den alten Geleisen zurück.

Preußen hatte am meisten das erste, heilige Feuer des Zorns und der Begeisterung bis zum Ende bewahrt und sein jüngster Nationalheld, der ungestüme Mann im Silberhaare, in dem sich die Volksstimmung gleich­sam verkörperte, trug Sorge dafür, daß es nicht erlösche. Wer aber die Vorgänge von 1814 aufmerksam verfolgt, fühlt deutlich heraus, daß diese vorwärtsdrängende Kraft den anderen unbequem geworden war, und daß sie am Ende inmitten des großen Völkerbündnisses gegen Napoleon

Frhr, v. d. Goltz, Kriegsgeschichte II 1