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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
Entstehung
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X. Schlutzbetrachtung

Die lebhafte Bewegung im Heer- und Kriegswesen, mit der das alteJahrhundert abschloß, hat im neuen in verstärktem Maße bisher fortge-dauert. Ungeahnte Fortschritte sind, zumal in Bewaffung, im Verkehrs-und Nachrichtenwesen, gemacht worden. Die Eroberung der Luft ist hinzu-getreten. Die Gesamtanstrengung im Militärstaate hat sich außerordent-lich erhöht. Die Heere haben sich an Zahl verdoppelt und verdreifacht,aber die Mittel zu ihrer einheitlichen Leitung sind in gleichem Maße ge-wachsen. Wenn ehedem der Feldherr am Abend seine Anordnungen er-lassen und abgesandt hatte, so trat im Hauptquartier Ruhe ein, bis amMorgen oder im Laufe des folgenden Tages die zurückkehrenden Offiziereüber den Stand der Dinge bei der Armee Bericht erstatteten. Jetzt ist erin der Lage, viertelstündlich Neues von dort zu hören, aber sogleich auchwieder antworten zu können. Die geistige Anspannung wird eine vielgrößere, und schnellerer Entschluß als früher ist notwendig.

Auch an die Ausbildung der Truppen sind noch erhöhte Forderungenherangetreten. Was das Ende des 19. Jahrhunderts hierin angebahnthat, vollendet sich gegenwärtig. Der Burenkrieg in Südafrika, der Man-dschurische Krieg zwischen Rußland und Japan , der Aufstand in Südwest-afrika haben Erscheinungen gezeitigt, die uns im Jahre 1870/71 nochfremd waren. Die Bedeutung des einzelnen Soldaten ist mehr hervor-getreten, und daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer viel intensiverenpersönlichen Vorbereitung für den Kampf, als sie in den letzten Feld-zügen erforderlich war. Nicht bloß die physischen Kräfte und die Moralsind durch die Erziehung zu steigern, sondern auch die Sinne, der kriege-rische Instinkt, die Intelligenz, das Urteil, Verschlagenheit, List undUmsicht müssen mit Bewußtsein frühzeitig geschärft werden. Körperund Geist des Kriegers sind mehr für ihren Zweck zu schulen. Bisherwurde nur die Brauchbarkeit der geführten Truppen erstrebt; jetzt mußauch die führerlose noch verwendbar und tüchtig sein. Der einzelneSoldat ist gewissermaßen zur taktischen Einheit geworden, mit der auchdie höhere Führung zu rechnen hat. Das steht im Gegensatze zumAnwachsen der Heeresmassen. Bei höchster Entwickelung aller Eigen-schaften der Persönlichkeit im Soldaten wird es dennoch möglich sein, dieeinheitliche Leitung aufrecht zu erhalten. Alle militärische Arbeit abermuß darauf hinausgehen, jeden Mann in Reih und Glied zum denkenden