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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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VIII. Der Krieg von

^. Gegen das Kaiserreich

Der Aufmarsch der Heere

(S. Skizze 36 u. 37)

Die förmliche französische Kriegserklärung erfolgte am 19. Juli. Sehr bald zeigte sich, daß die Vorbereitung der Mobilmachung in Frankreich völlig ungenügend gewesen war. Eine heillose Verwirrung brach aus. Die Regimenter standen aus innerpolitischen Gründen nicht in ihren Er­gänzungsbezirken. Die aus diesen stammenden zur Fahne berufenen Re­servisten mußten zunächst nach den Ausrüstungsdepots, dann zu den Re­gimentern befördert werden. Viele von diesen hatten ihre Standorte schon verlassen. Ein zeitraubendes Hin und Her entwickelte sich daraus. Zahl­reiche Reserven versammelten sich, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten. In Marseille fanden sich ihrer 9000 ein, die der Territorialdivisions­kommandant in seiner Verlegenheit nach Algier schicken wollte. Da die höheren Verbände erst mit der Mobilmachung gebildet wurden, suchten Generale nach ihren Truppen und diese nach ihren Führern. Auch an Verwaltungsbeamten und Ärzten war Mangel. Ausrüstung, Heergerät, Pferde fehlten; das Fuhrwesen war unvollständig. Die Lebensmittel ge­nügten nicht. Die leichtfertige Hoffnung, daß, was vom grünen Tisch befohlen war, auch ohne vorherige praktische Probe sich im entscheidenden Augenblicke verwirklichen müsse, rächte sich bitter. An Selbsthilfe war niemand gewöhnt, und alles dies wog um so schwerer, als nur größte Schnelligkeit die Ungunst der Verhältnisse hätte wettmachen können.

Ob ein bestimmter Feldzugsplan überhaupt vorhanden war, ist geschichtlich bisher nicht festgestellt, sondern nur bekannt, was dem Kaiser und seinen hauptsächlichsten Beratern vorschwebte. Dies beruhte auf der eigentümlichen Voraussetzung, daß die norddeutschen Kräfte am Rhein zwischen Wesel und Mainz , die süddeutschen im Schwarzwalde zur Verteidigung auf­marschieren würden. Das Vorgehen Preußens im Jahre 1866 berechtigte nicht zu einer solchen Annahme. Aber der alte Ruhm der französischen Armee verblendete die Geister.

Aus der Vorstellung vom Verhalten des Gegners ergab sich leicht der Gedanke an eine gewaltsame Trennung der beiden deutschen Gruppen durch die den Rhein bei und nahe unterhalb Straßburg überschreitende franzö­sische Hauptarmee.

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