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Politische Geschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert / von Georg Kaufmann
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Preußen um 1840. Friedrich Wilhelm IV. Eichhorn. 275

Persönlichkeit fehlte, das ersetzte die Erinnerung an die verklärteKönigin Luise. Auf ihm lag der Schimmer der großen Zeit, undder Staat hatte unter ihm bedeutende Fortschritte gemacht. Es warendie Grundzüge einer neuen Ordnung geschaffen, in der sich Volkund Staat mächtig erhoben, und trotz manchen einzelnen Rechts-verletzungen hatte man doch das Gefühl, daß der Richterstand un-abhängig sei, und der Richterstand selbst fühlte die Pflicht, diesenRuhm zu wahren. So ertrug man die spätere Erstarrung undVerkümmerung der Reform und viel Unrecht, das sonst nicht ertragenworden wäre- man gedachte, daß der König alt sei. Aber als erstarb,da brachen all die lang verhaltenen Klagen und Hoffnungender Preußen übermächtig hervor, sprudelnd und schäumend wie dasflüssige Metall, wenn der Zapfen ausgestoßen wird". Auch überdas Gebiet, dem der König seine persönliche Aufmerksamkeit ammeisten zugewendet hatte, über die evangelische Kirche, urteilte derNachfolger, sie seiin einem jämmerlichen Zustande".

Friedrich Wilhelm IV. und das Ministerium Eichhorn.

Auf seinen Nachfolger richtete jetzt die Welt ihre Hoffnungen,und er steigerte sie durch die hinreißende Beredsamkeit, mit der erbei den Huldigungen in Königsberg und Berlin von seinen Pflich-ten und Zielen sprach. Friedrich Wilhelm IV. war eine Naturvon wunderbar reicher Begabung, aber mehr zum Verwundernals zum Wirken geschaffen. Mit Künstleraugen schante er in dieWelt, ohne doch in einer wirklichen Künstlerthat Befriedigung undBefreiung von der Fülle der Gesichte zu finden, die ihn umdräng-ten. Vor der Masse des Möglichen und des Erwünschten ver-mochte er nicht das Notwendige zu sehen. Das viele Kleine ver-hüllte ihm das Große. Er war eine religiöse Natur und hattezartes Verständnis sür das Schöne, aber daneben spielte er nichtnur im Scherz gern mit häßlichen Worten, sondern auch in ernstenStunden und bei feierlichen Gelegenheiten verlor er sich oft inniedrigen Äußerungen. Er wußte, daß Religion ein inneres Lebenist, sich nicht kommandieren und reglementieren läßt, lind er warein begeisterter Freund der Wissenschaft: aber er ließ die Kirche

und die Universitäten durch seinen Minister Eichhorn in einer

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