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Kaiser und Reich.
wahren, die Würde der Nation war verletzt. Vor der Welt erschiender Vorgang doch so, daß Prenßen erst keck vorgegangen und dannvor Frankreichs Drohungen zurückgewichen sei.
Das Volk hatte ein lebhaftes Gefühl davon. Wir haben eineNiederlage erlitten, ohne einen Schuß zu thun, und ungestraftüberschütten uns die Franzosen mit höhnischen Herausforderungen.So empfand man im Volk, wenn man es auch nicht aussprach;noch war ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Sacheeine andere Wendung erhielt. Aber die Zeit wurde lang, ohnedaß etwas geschah, jeder Tag, jede Stunde vermehrte das Gewichtdes lahmenden Drucks. Nicht bloß die patriotischen Eiferer warenvon solchen Gefühlen beherrscht, der einfache Mann fühlte, daßsolche Nachgiebigkeit den Frieden nicht sichere, sondern den dreistenGegner nur zu weiteren Forderungen ermutige, und daß der Kriegspäter doch, aber dann nnter ungünstigeren Bedingungen aus-gefochten werden müsse. Es lag eine beängstigende Stille überden: Lande, und alle Feinde Brandenburgs waren wach. Siefüllten ihre Köcher mit den Pfeilen des Hohns und vergifteten siemit dem Gift der schändlichsten Verleumdung. Auch der ruhigeErnst, mit dem Bismarck in dem Luxemburger Handel Deutschlandvor dem Kriege bewahrt hatte, wurde jetzt in Feigheit verkehrt,und selbst sonst maßvolle Partikularisten nannten den Helden einenSchwächling, der die kleinen Bundesfürsten mit Übermacht erdrücke,aber vor Napoleon zitternd sich verkrieche.
Nun hatte der König am 13. Juli eine Depesche über seineGespräche mit Benedetti an Bismarck gesandt, mit der Anweisung,den Gesandten und der Presse davon in geeigneter Weise Kenntniszu geben. Dieses Material faßte Bismarck kurz zusammen in derberühmten Emser Depesche, die am 14. Juli in den Zeitungenerschien. Sie enthielt nur die nüchterne Angabe der französischenZumutung und ihrer Abweisung, ohne irgend ein verletzendes Wort,aber sie sprach klar und bestimmt: „Se. Majestät hat es daraufabgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen,und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen,daß Se. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe."Diese Depesche wirkte auf unsere Nation wie eine Erlösung, brach