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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Winckelmann .

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jetzt noch aus dem der Dresdener öffentlichen Bibliothek durch denEinband erkennbar ist. Ich konnte ihm daher nachgehen, welche Bücherer las, welche aber nicht, obgleich er sie wohl alle einmal in derHand hatte. Die Belesenheit endet dort, wo die Vorarbeit für denAntiauarius" endete. Was er an Meinungen der großen Bildnerund Maler der Renaissance zusammenträgt, ist herzlich armselig.Und doch steht es ihm über dem, was er wirklich an Kunst sehenkonnte und was er als gesehen erwähnt. Niemals sührt ihn dieszum Verweilen, zum Vertiefen. In seinem ganzen Denken tief imBarock befangen, voll von Streben nach Allegorie, nach ausgeklügeltemDingen, noch ohne jede Sinnlichkeit des Schnnens, ist bei ihm nicht dasGesehene, sondern das Gehörte und Gelesene allein Kern und Grunddes Denkens und Schreibens. Was Aristoteles oder Cicero, Plinius oder Pausanias gesagt hat, das giebt der Auseinandersetzung In-halt und Beweis: Winckelmann spricht viel von Bernini und seinerSchule. Er wußte sicher, daß in Dresden Werke dieser Art stehen:Er redet aber auch hier nur darüber, was dieser und jener überden Meister sagte. Das erweist sich auch hier als das Bezeichnendeder klassischen Kunstkritik, daß sie von der Gelehrsamkeit ausging,las, uicht sah. Der ganze Zug ihres Denkens führte sie von demfort, was sie umgab: Das war nicht aus ihrer Zeit, sie lebten jain einem vergangenen Jahrtausend. Aus diesem heraus wollteusie jenes belehren: Wenn die Schätze der Gelehrsamkeit der Kunstzuflössen, so könnte die Zeit erscheinen, daß der Maler eine Odeebenso gut als eine Tragödie schildern könnte. Man lese nach,was Winckelmann unter diesem Wunsche den Künstlern zu bildeuempfahl; wie er sie dnrch Regeln und Beispiele belehren wollte;was er uoch in Rom als den besten Weg zur Betrachtung derKunstwerke anpries, jetzt seit er mit Eifer selbst dieser oblag.

Die spätere klassizistische Zeit hat sich ihren Winckelmann zu-rechtgebaut, wie sie ihn sich wünschte. Ich glanbe, daß man demMann gerechter würde, wenn man ihn nicht als Ansang einerneuen Zeit, sondern als Ende einer alten betrachtet, als Sohn desklassizistisch gewordenen Barock, als Jünger seines Lehrers Oeser,des Oeser, der auch Goethe die Anfänge der Kunft oder doch dieAnfangsgründe lehrte.