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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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VII. Chirurgie, Augen-, Ohren-, Zahnheilkunde.

der Chirurgie. Es stand damals aber auch schlecht um die Aus-bildung der Wundärzte, die Lehrlinge der edlen Kunst waren ein-fache Handwerkslehrlinge mit deren usuellen Nebenbeschäftigungen(Kinderbeanfsichtigen ?c.), die Meister verstanden selbst nichts undder kontrollierende Physikns nicht viel. Wenn je ein akademischgebildeter Arzt sich der Chirurgie aus Überzeugung widmete, fander bei seinen Kollegen nur Spott, Hohn und von dem niederenWundarztpersonal wurde er als Eindringling verfolgt.

Nirgends blühte die Kurpfuscherei mehr als auf chirurgischemGebiete. Wir erinnern an die umherziehenden Stein- nnd Bruch-schneider nnd an die Staarstecher, an die Praxis ausübendenScharfrichter, Schmiede und alten Weiber. Während den Geist-lichen 1770 in Österreich bei hoher Strafe das Kurieren verbotenwar, wurde 1773 den Klerikern vom Parlament in Rouen dieAusübung medizinischer Praxis gestattet. In Schweden wurdendie Kandidaten der Theologie in der Pathologie unterrichtet, undnoch 1809 befürwortete Hufeland, daß die Geistlichkeit innereMedizin praktiziere. Ist es heute bei uns besser geworden? AlleZeitungen wimmeln von Geheimmitteln, chemische Fabriken kündenihre unfehlbaren Mittel an, der Ruf einzelner Pfarrherren ziehtTausende und Abertausende zur Kaltwasserkur, andere kurieren mitsenchtem Lehm, Schäfer erkennen die Krankheiten aus den Haaren.Erfindungen, welche dem Wissenden die Schamrote ins Gesichttreiben, werden, wie die samosen Reibesitzbäder, geduldet und aller-orten blüht der Schwindel. Es giebt in Deutschland Gegenden,in denen mehr Kurpfuscher leben als Ärzte, und noch immer töntvom Forum, wenn irgend mal ins Wespennest gestochen wird, einvon liyust, noch immer wird der Arzt, der in harten: Berufe sichein Versehen zu schulden hat kommen lassen, eingesperrt, wogegender Pfuscher frei herumläuft.

Die Hospitäler, namentlich das Höksl visu in Paris und dieCharite in^Berlin , zeigten die schwersten Übelstünde. Von letzteremschreibt der Chefarzt E. Horn 1806, als er nach 12 Jahren überfeine Dienstzeit einen Rechenschaftsbericht erstattete:Schmutz undGestank herrschten im ganzen Hospital. Anstatt die Kranken beider Aufnahme zu reinigen, ließ man ihnen ihre schmutzigen Lnmpen