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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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Bincenz Prießnitz.

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Chirurgie. Er schickte den Chirurgen fort und behandelte sichselbst mit kalten Umschlägen, wobei er viel kaltes Wasser trank,und nach kurzer Zeit war er hergestellt. Nach diesem Erfolgestellte er an Tieren weitere Versuche an, die in ihrer Naivitätunsere Heiterkeit erregen, ihn aber davon überzeugten, daß manin den meisten Krankheiten mit Hilfe des kalten Wassers heilenkönne. Allmählich zimmerte er sich ein ganzes System zusammeu.Er glaubte, daß alle Störungen aus verdorbeneu Sästeu beruhen,die sich entweder in einein einzelnen Organe anhäufen und einelokale Veränderung hervorrufen oder den ganzen Körper schädigen.Diese schlechten Säfte muß man beseitigen. In vielen Fällenbesorgt das die Natur von selbst, wo ihr das aber nicht gelingt,muß sie durch die Auweudung des Wassers unterstützt werden.Das kalte Wasser löst, innerlich in reichlicher Menge genossen, diegestockten Flüssigkeiten auf; die äußere Anwendung zieht dieschlechten Säfte gegen die Haut, aus der sie durch Schwitz-prozeduren entfernt werden. Dazu kam eiue einfache Kost undstarke körperliche Bewegung im Freien. Anfänglich und langeZeit hindurch nahm Prießnitz nur kaltes Wasser uud mit Schauderndenkt der moderne Hydropath an die Walddouche und daran, daßsich einzelne Patienten aus den warmen EinPackungen heraus imSchuee wälzten. Später wurde Prießuitz freilich vorsichtiger.Die durch den Gebranch unreiner Tücher entstehenden Haut-asfektionen, die man in jeder schlecht geleiteten Wasserheilanstaltsieht und sich in jedem unreinlichen Bade holen kann, die währendder Kur auftretenden häufigen Diarrhöen und Blutungen, dieVeränderungen in der Farbe und Menge des Urins alles dassah man als erwünschte Reaktion an, durch welche die unreinenSäfte aus dem Körper ausgeschieden werden. So kam es, daßman die Wasserkuren fortsetzte, bis sich die genannten Übelständeeingestellt hatteu, und dieselben dann anfs freudigste begrüßte.

Der Erfolg, den Prießnitz mit seinen Kuren hatte, war eingewaltiger, er zeigte in einer Zeit, in welcher die Schulmedizinphantastischen Ideen nachjagte, daß es noch ein Mittel gab, mitwelchem viele Krankheiten geheilt werden konnten. Der Zulanfin Gräfenberg wurde immer größer, die Suggestion, die iu der