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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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566 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.

Zahl der Heilmittel, um so schlimmer steht es mit der wahrenErkenntnis einer Krankheit. Gerade dieser Ausspruch, der auch sonstin der Medizin zu Recht besteht, ^gilt nirgends mehr als in derBehandlung der Neurasthenie.

Viel besser sind wir über eine andere Neurose informiert,die man freilich schon viel länger kennt, über die Hypochondrie.Man kannte sie schon im Altertum; die erste klassische Beschreibungstammt von Hippokrates. Schon gegen das Ende des 18. Jahr-hunderts faßte man die Hypochondrie als eine Krankheit ans, derenSitz im Gehirn oder im Nervensystem zu suchen ist, ein Name,der vom 19. Jahrhundert übernommen wurde; nur Vroussaisstellte die Hypothese auf, daß sie ein Symptom der Gastroenteritis sei. Die einen geben mehr auf die Störungen des Nervensystemsüberhaupt, die anderen sehen nur eine rein intellektuelle Störung,was Dubois zu dem Glaubeu gebracht hat, daß jede organischeGrundlage fehlt und man es nur mituns manisrs äs xsussr"zu thun habe. Lallemand und Louyer-Villermay dagegensehen in den bei der Hypochondrie vorhandenen Alienationen derVerdauungs- und Geschlechtsorgane den Anfang einer Störung derGehirnfunktionen. Die beste Arbeit verdanken wir zweifellos Jolly,welcher unter Hypochondrie eine Form der traurigen Verstimmungversteht, in welcher die Aufmerksamkeit des Krauken anhaltend odervorwiegend ans die Zustände des eigenen Körpers oder Geistes ge-richtet ist. Er hat mit dieser Arbeit ein klassisches Bild der viel-verbreiteten Neurose geliefert, welches auch durch die späterenForschungen nicht hat übertroffen werden können. Freilich begegnetes ihm manchmal, daß er rein neurasthenische Züge in sein Krank-heitsbild verwebt nnd daß er die Ausgänge in Psychosen vielleichtetwas mehr hätte betonen können, aber letzteres wurde durch diemodernen Psychiater (Krafft-Ebing, Kraepelin n. a. m.) nach-geholt und ersteres ist durch den Umstand zu erklären, daßJolly, wie früher schon bemerkt, die Neurasthenie überhauptleugnet.

Die Chorea oder der Veitstanz ist eine aus dem Mittelalterschou bekannte Krankheit. Weil man die Afsektion öfter mit anderennervösen Störungen verwechselte, schlug Thilenius 1844 den