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Einleitung.
Schwerer wiegt ein anderer EinWurf, der sich wiederholt schon hatvernehmen lassen. Was redet ihr nur soviel von lln äs 8isc-Is? Die Zeitund was in ihr abläuft, die Geschichte ist ein Kontinuum, Sprünge giebtes da nicht, und darum wird es im Jahre 1901 nicht anders sein alses 1898 gewesen ist; das Jahrhundert ist keine Einheit, sondernein ganz willkürlich und zufällig Abgegrenztes, eiu künstlich Ge-machtes; sein Eintreten ist also kein wirklicher Anfang, sein Endekein wirklicher Abschluß; Heraklit hat recht: alles fließt. Philister-weisheit — mochte ich sagen, die eben deshalb, weil sie ganz rechthat, ganz wertlos ist. Das wissen wir natürlich auch, daß dieMenschen am Neujahrstag 1901 uicht mit einem Schlag anderesein, mit neuen Herzen nnd neuen Gedanken aufwachen werden,und daß in der That wie das Leben des Einzelnen so auch dasLeben der Völker und der Menschheit eine Kette ist, die nicht von Zeitzu Zeit zwischendurch einmal abreißt. Und dennoch! In seinen„Monologen", dieser Neujahrsgabe für das neunzehute Jahrhundert,hat schon Schleiermacher in seiner sinnigen Weise diesen Einwandzurückgewiesen: „So durchschneiden Nur die unendliche Linie derZeit, heißt es hier, in gleichen Entfernungen, an oft mir will-kürlich durch den leichtesten Schein bestimmten Punkten, die für dasLeben, weil alles abgemesseue Schritte verschmäht, ganz gleichgültigsind und nach denen nichts sich richten will, weder das Gebäudeunserer Werke noch der Kranz unserer Empfindungen noch dasSpiel unserer Schicksale: und dennoch meinen wir mit diesen Ab-schnitten etwas mehr als eine Erleichterung für den Zahlenbcwahreroder ein Kleinod für den Chronologen; bei jedem vielmehr knüpftsich daran unvermeidlich der ernste Gedanke, daß eine Teilung desLebens möglich sei. Aber wenige dringen ein in die tiefsinnigeAllegorie und verstehen den Sinn der vielfach wiederkehrenden Auf-forderung." Diesem in die Tiefe dringenden Idealismus ift viel-mehr ein solcher Einschnitt eine Mahnung zur Selbstbetrachtung, die vonder Außenwelt in das eigene Innere, in die Welt des Geistes unddamit in das Reich der Ewigkeit führt, wo der Mensch, außerhalbdes Gebietes der Zeit uud sreigesprochen von ihrem Gesetz, desGeistes Leben anschaut, das keine Welt verwandeln und keine Zeitzerstören kann, weil es selbst erst Welt und Zeit erschafft.