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1300 bis 1830: Die drei Weltanschauungen,
Vor allem aber lebte dieser Geist weiter im deutschen Mittel-stand, in der Bourgeoisie der immer noch nicht großen Städte, woer ja von Ansang an zu Hanse gewesen war: wenn sie so schlecht undrecht, so eiusach uud nüchtern in den kümmerlichen Kriegszeitenund noch geranme Zeit nachher ihr Dasein wieder ausznbauen sichbemühte, aus Ehrenhaftigkeit nnd Rechtschaffenheit, ans Zucht undSitte bei sich und den Ihrigen hielt und sich endämonistisch lindvpnmistisch des Lebens im eugeu Kreis der Ressource oder in demvom Hausherrn despotisch regierten eigenen Hanse freute und sichdaran geuügen lies?, so waren das doch recht wackere und branch-bare Erbstücke aus der guteu alten Zeit der Aufklärung, die wirdarum nicht fo gar leichten Herzens hätten preisgeben sollen. EinWort von Heine über Nicvlai trifft das Ganze und trifft denNagel auf deu Kopf: „er hatte recht und machte sich doch mirlächerlich". So lachen wir heute über die Philisterhastigkeit jenerZeit, über allerlei Zopfiges und Steifes, Enges und Kleinliches,über Nüchternheit und Rührseligkeit, über optimistische Selbst-gerechtigkeit und aufdringliches Moralisieren; allein vielleicht hattendiese Spießbürger unserer unendlich reichereu, aber in ihrer Hastvielsach auch die Ruhe des Innenlebens preisgebenden Zeit und Weltgegenüber doch das bessere Teil erwählt und hatten wirklich etwasvon der Tugend und Tüchtigkeit, deren Lob sie sangen, von derZufriedenheit und Glückseligkeit, worin sie es so herrlich weit gebrachtzu haben meinten.
Und auch das läßt sich nicht verkennen, daß vieles von dem,was sie im Munde führten, beim Anfang des neuen Jahrhundertenur deswegen fo abgestanden klang, weil es inzwischen verwirklichtund aus der Theorie bereits iu die Praxis übergegangen war oderdemnächst übergehen sollte. Die Abschaffung der Folter im Gerichts-verfahren und die Abschaffung der Prügelstrase im Heer, die Aus-hebung der Leibeigeuschast und der Adelsvorrechte nnd die An-näherung der vorher kasteuartig gegeneinander abgeschlossenenStände — das sind nur ein paar Beispiele dafür. Die dreiIdyllen von Voß „Die Leibeigenen", „Die Erleichterten" nnd „DieFreigelassenen" zeigen uns, wie wacker die Teudenzpoeteu der Ansklärung für solche Gedanken eintraten; als sie verwirklicht waren,