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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen.

Denn als die Sonne des Jahrhunderts erstmals ausging, dastanden diese Dichterdioskuren wirklich auf der Höhe ihres Schaffens.Mit seiner lauten Stimme uud seinem Ruf: Zurück zur Natur!hatte Rousseau von Fraukrcich nach Deutschland herübergewirktuud hier eiuen Sturm und Drang entfesselt, vor dein selbst Lessiugerschrocken war, wie viel mehr Nicolai! Und in der That ist Rousseau bei aller Verwandtschaft und aller Zugehörigkeit zu ihr doch nochweit mehr der große Antipode und der eigeuttiche Uberwinderder Aufklärung. Dadurch hat er in dem ganzen geistigen Habitusder Zeit einen solchen Umschwung hervorgerufen, daß man feinenEinfluß auf unser modernes Fühlen und Empfinden gar nicht hochgenug veranschlagen kann; das neunzehnte Jahrhundert steht gefühls-mäßig unter dem Zeichen Rousseaus , der Natur gegenüber empfindenNur mitten in unserem realistischeu Zeitalter uoch heute sentimcn-talisch wie er. In diese Gefühls- und Gedankenkreise ist dauudurch Herder auch der junge Goethe hineingezogen worden, unterdem Zeichen Shakespeares hat auch er gegen den sranzösischenKlassizismus, der den Aufklärern als höchstes Muster galt, gekämpst,und bald war er der kühnste uud keckste dieser himmelstürmendenNeuerer. Aber die italienische Reise hatte die Gärung zu Endegeführt und ihm nicht als ein Fremdes, fondern feiner apollinischenNatnr durchaus angemessen, die maßhaltende Schönheit des Griechen-tums als Leitstern seines künstlerischen Schaffens gewiesen; nndsast gleichzeitig war Schillers stürmischer Genius in der PhilosophieKants nnd im Studium der Geschichte zur Klärung und Reifegekommen und hatte sich ebenfalls der Zucht der Antike williggefügt. Und nun führten die beiden in engverbuudeuer Freundschaftden .^enicnkamps, der sich zuerst gegen die Mittelmäßigkeit uudSeichtigkeit der Aufklärung richtete uud auf der ganzen Linie sieg-reich durchgesuchten wurde.

Aber dieser Kampf beweist doch deutlich auch das andere, daßdamals im Jahre 1796 die beiden noch nicht so als die Einzigennnd Ersten anerkannt waren, noch nicht so turmhoch über allenanderen in der Schätzung ihrer Zeitgenossen standen, wie diesheute unwidersprochen gilt. In Poesie und Kritik herrschte diebreite Masse jeuer Mittelmäßigen und Seichten, und um die