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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen,

Reden im Jahre 1800, als Morgengabe für das neue Jahrhundert,die Monologen folgen, das hohe Lied einer ihrer selbst gewissennnd sich voll erfassenden Individualität, einen Hymnns auf dieFreiheit eiucr individuell sich bildenden nnd gebildeten Natur,wirklich das Programm jener neuen Bildung und einer durch unddurch idealistischeu Sittlichkeit.

Es war die Größe, aber auch die Schwäche der KantischeuMoral, daß sie den Menschen auch als sittlichen vor das allgemeineBeruuuftgesetz gestellt und dieses als einen alle individuellenNeigungen zu Bodeu schlageudeu kategorischen Imperativ ausgerichtethatte. Darin lag ihr demokratischer und revolutionärer Charakter,darin aber auch eiue Mißachtung der Individualität uud ihrerRechte, die fürfeiugcstüumte Seeleu" unerträglich war; deshalbhat sie Goethe abgelehnt und hat sich Schiller dagegen ansgelehut.Das gab nur gebrochene Charaktere, keine harmonischen Menschen;der neueu Bildung aber war es just um solche zu thun. Deshalbstellten ihre Vertreter Goethe so hoch, weil sie in ihm ohne allen innerenWiderstreit diese Harmonie verwirklicht sahen; sein Leben war derverkörperte Protest gegen Kants Lehre von der Nothwendigkeit desKampfes zwischen Neigung uud Pflicht. Schiller aber suchte dermönchische!? Moral Kants zn entgehen durch die Entdeckung derschonen Seele, durch diesen ästhetischen Begriff wollte er diesittliche Strenge Kants ermäßigen; doch er war selbst zu sehr imBanne dieser Philosophie, als daß er den Grundfehler in der Ver-nachlässigung des individuellen Moments im Sittlichen begriffe» hätte.

Da kam Schleiermacher und proklamierte wie für die Religion,so auch für die Sittlichkeit das Recht individueller Eigentümlichkeit:zu werden, was man ist, seiue Eigentümlichkeit zu bilden, das istunsere sittliche Aufgabe und ist des Menschen Bestimmung. Darinklingen die Monologen zunächst weit romantischer als die Reden:es war eine Ethik des Individualismus, wie sie auch Friedrich Schlegel wollte, und sie schien bei diesem Virtuosen vornehmer Geistesbildungaristokratisch sein zu müssen durch uud durch; es war ein souveränerSubjektivismus, der freilich auch von Kant stammte, aber doch nochmehr an die romantische Ironie Schlegels oder gar an den magischenIdealismus vonNovalis erinnerte; und es war Selbstbespiegclung mehr