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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
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1800 bis 1330: Die drei Weltanschauungen.

Allein weder konnte noch wollte sich die Romantik beschränken ansÄsthetik und Poesie, aus Bnch und Wort. Was sie schriebe»,hielten sie wie junge Schriftsteller meist sür Thaten, was siedichteten, für Wirklichkeit, und so floß thuen Dichtung und Wahr-heit, Roman und Leben, Phantasie und Weltbegebenheit, Märchenund Wirklichkeit in eins zusammen. Nicht einer verbesserten Kunstnur, sondern einer erneuerteu Bildung, der Einführung der Poesiein das Leben, der Vernbsolntierung des Ästhetischen, der Romanti-sieruug des Daseins im Stil des Goetheschen Wilhelm Meistergalt ihr Streben und Schaffen. Tieck hielt es für einen feinerenund höhereu Genuß,die gewöhnlichen Empfindungen zu veredelnund in der trockensten Prosa des Lebens die reinste und schönste Poesiezu finden" uud tadelte die Schriftsteller, die immerdas sogenanntePoetische absondern und zu einem für sich bestehenden Stoff zumachen suchen: sie trennen dadurch die Einheit"; und umgekehrtsagt Fr. Schlegel dasselbe:es giebt unvermeidliche Lagen nndVerhältnisse, die man nur dadurch liberal behandeln kaun, daßman sie dnrch eine kühne Art der Willtür verwandelt und durch-aus als Poesie betrachtet". Das sieht aus wie großes Wollen nndnimmt sich titanenhaft aus, und war doch nur litterarisch unddilettantisch. Am Gegensatz zu Schiller wird die Wirkung klar:ihm war das Schöne und die ästhetische Erziehung der Menscheneine ernste Angelegenheit, Symbol des Sittlichen jenes, Vorstusezur Sittlichkeit diese; ihnen ist das Ästhetische das Höchste undLetzte und darüber kommt das Sittliche zu kurz; bei Schiller istalles tiefgründiger Ernst, hier alles Schein, Willkür uud Spiel,und darum sind die srommcn Romantiker im Grnnde genommenrecht srivole Gesellen. Indem sie anch im Leben der blauen Blumenachjagen, die es doch mir in der Phantasie giebt und geben kann,und sich in eine Traum- nnd Märchenwelt einspinnen, kommt ihnendarüber der Wirklichkeits- und Wnhrheitssinn abhanden. Und auchdiesen Defekt habeu sie ihrem, unserem Jahrhundert mit aufdeu Weg gegeben, wir werden fehen, wie mühsam es sich davonlosringt, und man kann jetzt schon vorausnehmen, daß darin diebeste Rechtfertigung für den Realismus iu allen seinen Formennnd Gestalten, ja selbst in seinen Übertreibungen nnd Thorheiten