74
1800 bis 1830: Schilling und Hegel.
Jahre vor Lamarck, sechzig Jahre vor Darwin ausgesprochen: esist dies eine der größten Antecipationen der Philosophie. Undwenn er erklärt, daß „die Prinzipien des Organismus nnd Mecha-nismus dieselben seien" und die Nllgegenwart des Lebens ver-kündigt, also das, was wir heute „Monismus " nennen, so zuckenwir, die wir inzwischen die Orgien des Materialismus auf dereiuen Seite erlebt und auf der audern Fcchncrs „Tagesansicht" von einerAllbeseelung der Dinge kennen gelernt haben und die Welt sogar alsWille begreifen sollen, darüber doch nicht mehr so gar verächtlich dieAchseln und erinnern uns wieder einmal an Spinoza nnd Goethe. Daßaber der Nachweis für all das von dem Philosophen nicht erbracht wurdennd nicht erbracht werden konnte, das freilich liegt auf der Hand,lind damit beginnt das Unrecht der Naturphilosophie: au die Stellevon Beweisen setzte sie kecke Behauptungen und Machtsprüchc, andie Stelle von wissenschaftlich begründeten Gesetzen vage Analogiennnd leere Worte. Da liegt ihr Gegensatz zu Kant : wenn diesersagt, daß „wir von den Dingen nur das a. priori erkennen, was wirselbst in sie legen", so meint er mit diesem „wir selbst" die Natur-forscher und ihre methodische Arbeit uud gerade nicht die spekula-tiven Naturphilosophien, die ohne Methode und ohne Rücksicht aufdie Erfahrung „Luft uud Licht a priori konstruieren". Denn ebendarin bestand die Gefahr der Naturphilosophie, daß sie, trotz allerthatsächlichen Abhängigkeit von den zufälligen nnd jedesmal letztenErgebnissen der naturwissenschaftlichen Forschung ihrer Zeit — dennwoher anders sollte sie ihren Stoff nehmen? —, die Empirie geringachtete und ihr, indem sie sie zum bloßen Material und Mittelherabsetzte, Gewalt anthat. Wie man im sechzehnten Jahrhundert imfaustischem Drang nach einem Zanberschlüssel suchte, der dem Meuschenden Zugang zur Natur uud ihreu Geheimnissen mit Einem Schlagöffnen sollte, bis man entdeckte, daß die Mathematik zwar einSchlüssel, aber kein Zanberschlüssel sei und die Natur sich zwarihre Geheimnisse abgewinnen lasse, aber nur in langsam redlichemBemühen einer methodisch fortschreitenden Forschung, so glaubteman auch jetzt wieder, und zwar nicht nur Dichter nnd Philosophen,in den Formeln der Naturphilosophie das einfache und direkteMittel in die Hand zu bekommen zur Erkenntnis und zum Ver-