Druckschrift 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
105
Einzelbild herunterladen
 

Die retigwse Erneuerung.

105

dadurch zugleich schon früh innerlich konsolidiert werden." Deshalbaber soll, meint der damalige preußische Gcheimrat, durch Vor-schriften nnd Formen nichts gebunden nnd nicht alles in überallgleicher Einförmigkeit in den Gang einer Maschine gebracht werden;dennnicht die toten Kräfte der Natur sind eS, worauf derpreußische Staat gegründet ist, sondern die lebendigen, unendlicherErhöhung uud Entwickelung fähigen Kräfte der Menschenwelt".So geistesmächtig und so freiheitlich walteten die damaligeu preußischenBeamten ihres Amtes, sie fürchteten den Geist nicht, wie ihre Epi-gonen von heutzutage, soudern sie sind es selber gewesen, die ihnentbunden und entfesselt haben. Und in Kraft dieses Geistes erstandder preußische Staat als ein neuer aus Niederlage und Fall zuhöherem Leben.

Die religiöse Erneuerung.

Schule und Wissenschaft im Bund mit der Vaterlandsliebennd im Dienst der Wiederansrichtung des Saates, die als einegeistige und sittliche gedacht war: dazu kam nun noch als drittesdie Religion. Wir haben schon gesehen, die Aufklärungsreligionmit ihrem dürren Moralismus uud ihrer dünnen, unhaltbarenMetaphysik war abgestanden uud tot: als rationaler Supra-naturalismus, wie sie sich später in mehr vermittelnder Formgern nannte, war sie Sache eines uuklareu und schwächlichenDenkens ohne rechte Überzeugungskraft und ohne alle Volkstüm-lichkeit; und ebenso war der Moralismus zwar durchaus achtnngs-wert uud rechtschaffen, aber die Predigten zeigen es entsetzlichtrocken und nüchtern und jedenfalls kein specifisch Religiöses mehr.Auch Kant hatte, trotz der tiefen Aus- und Umdeutung protestan-tischer Glaubenslehren, in seiner Neligionsphilosophie hierin keinenWandel geschasst: diese spekulative Deutuug verstand man nicht;der Begriff des Mythus war auch ihm uoch nicht aufgegangen,und über dem im Vordergrund stehenden Dringen aus das Moralischekam mich bei ihm das Gefühlsmäßige der Religion in keiner Weifezn seinem Recht. Da war wie ein befruchtender Regen über dürresAckerlaud, Schteiermachcr gekommen mit seinen Reden über dieReligion. In ihnen pulsierte erstmals wieder echt religiöses Lebeu