Die Union. Hengstenberg.
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Schwierigkeit und Widerspruch; denn was uns gebildeten In-differentsten von heutzutage unverständlich und selbstverständlicherscheint, war damals als ein Trennendes noch verstanden und alsein Festzuhaltendes noch lebendig. Dazu kam, daß schon hier und uochmehr dann freilich beim Agendenstreit der zwanziger Jahre die Kircheund der religiöse Teil ihrer Angehörigen das selbstherrliche Ein-greifen des Königs Friedrich Wilhelm III. wie eine Vergewaltigungder Gewissen empfand; und so schloß sich an beides eine oppo-sitionelle Bewegung an, die teilweise sogar bis zu separatistischer Ge-meindebildnng weiterging. Dort waren es die strengen Lutheraner,von denen einzelne wie Klaus Harms mit seinen 95 Thesen sofortenergisch Protestierten, andere wie die einfachen Bürgersleute iuBreSlau unter des Theologen Scheibel und des NaturphilosophenSteffens Führung es in zähem Kampf bis znr Loslösung von derLandeskirche trieben und damit bereits die Frage nahelegten nachder Vereinbarkeit dieser Landeskirche und der fürstlichen Landesbischöfemit dem Prinzip wahrer protestantischer Freiheit. Hier im Agenden-streit fanden umgekehrt die Kreise der Freidenkenden jene königlicheEinmischung unerträglich uud bestritten daher „das liturgischeRecht evangelischer Landesfürsten" nachdrücklich; an der Spitze dieserOpposition stand Schleiermacher , der damals zugleich ohnedies auchpolitisch verdächtig war. Daß er, uachdem er einen Augenblickebenfalls mit dem Gedanken seines Austritts aus der Landeskirchesich getragen hatte, schließlich müde wurde und nachgab, hat ihmden Haß des jungen Deutschland über Gebühr zugezogen, der dannfreilich noch durch das mehr erbanliche als konsequente Ende desBielgewandten vermehrt wurde. Welche Rache Gntzkow dafür anihm nahm, ist bereits erzählt; es war auch gar zu verführerisch,Schleiermachers eigene Jugend gegen dieses Lebensende auszuspielen,und es war leichter die Widersprüche in ihm ans Licht zu ziehen,als die Kunst ihrer Vermittlung im Leben und System des großenDialektikers und Dogmatikers zn begreifen und an ihr sich künstlerischZu freuen.
Hengstenberg.
Nun ist ja nicht zn verkennen, daß der Unionsgedanke einegewisse Abschwächung der dogmatisch-konfessionellen Gegensätze, eine
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