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wirklicher Erleichterung lind Erlösung. Allein man empfand nebenjenem Allgemeinen und dem auf die Vergangenheit sich beziehendenBesonderen doch noch eiu anderes, und dieses galt dem Nachfolger,dem bereits fünfundvierzigjährigen Friedrich Wilhelm IV.
Kaum je ist ein Fürst mit größeren Erwartungen, mit über-schwenglicheren Hoffnungen empfangen und von seinem Volk freu-diger begrüßt worden, und kaum je hat eiu solcher gleich zu Begiuuselbst auch größere Erwartungen von sich zn erwecken gewußt alser. Ich muß aus eine eingehende und erschöpfende Charakteristikdieses komplizierten Mannes hier, wo es sich nur um das geistige,nicht anch um das politische Leben des deutschen Volkes handelt,verzichten; meisterhaft hat das Treitschke im letzten erschienenen Bandseiner deutschen Geschichte gethan, wo dieser König im Mittelpunkt stehtund ein ganzes Buch hindurch in Worten und Thaten vor nnssich zu explizieren Gelegenheit hat. Das Nötigste aber mnß ichdoch auch sagen. Gegenüber dem wortkargen, schlichten Wesen seinesVorgängers war Friedrich Wilhelm IV. ein Redner, der gern undviel, gut und frei sprach, ein geistreicher Mann voll Witz nndPhantasie, voll Schönheitssinn und künstlerischem Interesse, kirchlichgerichtet und mystisch gestimmt, ein Mann mehr des andächtigSchwärmens als des gut Handelns. Nach welcher Seite hin seinEinfluß als Kronprinz gegangen war, wissen wir heute Wohl besserals seine Zeitgenossen. Die Hegelsche Philosophie war ihm alspautheistisch und rationalistisch verhaßt, Hengstenberg stand ihmnahe, der unklar verschwommene, unheimlich vielseitige nnd überallgleich dilettantische Bimsen war sein Freund, Parteimänner wie diedrei Gebrüder vou Gcrlach wußten ihn für ihre kirchlich-politischenZwecke zu gewinnen und zu benutzen, Goßners Bußpredigtenmachten den Leichterregbaren unsicher nnd ängstlich. Unter solchenEinflüssen hatte er schon als Kronprinz in der Kirche nnd auf denUuiversitäteu überall die strenggläubige Richtung zur Herrschaftzu bringen und die ungläubigen Hegelianer und Schleiermachianervon den wichtigsten Stellen sernzuhalteu gesucht. Schon in demHallischen Streit von 1830, wo ans eine Denunziation von Ludwigvon Gerlach hin gegen die rationalistischen Theologen Geseninsund Wegscheider Sturm gelausen wurde, hatte er sich, ohne an der