Druckschrift 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
272
Einzelbild herunterladen
 
  

272

1848 bis 1871: Die Revolution von 1848 und 49,

den ultramontanen Tendenzen und Übergriffen weitgehende Konnivenzbewies und ein wahresJesuitenregiment" in Bayern schalten undwalten ließ; und noch schlimmer war sein unwürdiges Verhältnismit der spanischen Tänzerin Lola Montez , das dem bereits wankendenMinisterium Abel einen ehrenvollen Abgang verschaffte, großeMißstimmung im ganzen Land hervorrief und in der Hauptstadtselbst zur Bedrohung des Königs und zu tumultnarischen Auftrittenführte. Da sich an diesen namentlich anch das Gros der Studenten-schaft beteiligte, während das Korps Alemannia es mit der könig-lichen Maitresse hielt und ihr als Leibgarde diente, kam es zurSchließung der Universität und zur Absetzung mehrerer namhafterProfessoren. Wie der tote Eid die Seinigen znm Siege führte,so brachte die Beerdigung des alten Löwen Görres die Gärungzum Ausbruch und damit die Entscheidung: der .König mußte nach-geben, die Universität wieder eröffnen und die Abenteurerin ausdem Lande gehen heißen. Es war das vierzehn Tage vor dem Aus-druck) der Februarrevolution in Frankreich .

Gerade angesichts solcher schon in die frühere Zeit fallenderZuckungen und Gleichgewichtsstörungen mag man darüber streiten,ob die Revolutiou von 1848 nicht besser als Abschluß der vorigenPeriode und als Fazit der vierziger Jahre, in Deutschland speciellals Folge der Regierung der Romantiker in Preußen und in Bayern damit zusammenzustellen wäre; zumal wenn man bedenkt, daß dieRevolution mißlungen ist. Allein ich sehe in ihr doch weit wenigerdas Mißlingen als vielmehr das Vorbereiten und Werden einesKommenden, den Frühling und das Morgenrot einer neuen Zeitfür unser deutsches Volk. Seit 1848 ist ein anderer Geist da,und trotz der zehn Jahre schwerer Reaktion, die noch einmal kommen,ist doch nicht diese der Sieger geblieben. Der März 1848 bildetden großen Einschnitt im Leben unseres Volkes im neunzehntenJahrhundert. Mitvormärzlich" bezeichnen wir heute mit Rechtein absolut Vergangenes, kaum mehr Verständliches, fast Vorsint-flutliches: wer invormärzlichen" Anschauungen lebt, ist veraltet,ist für unsere Zeit tot: wir Menschen von 1848 bis 1898 könnenuns dagegen verstehen, was immer uns auch trennt; diese fünfzigJahre sind Gegenwart, nicht einmal das Jahr 1870 hat für das