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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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289
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Reformbewegungen in Kirche und Schule. 239

Bezeichnend bei den Verhandlungen war das Verhalten der ultra-montanen Partei. Schon daß eine solche im Parlament vorhandenwar, war auffallend; und überdies war sie nach Biedermanns Er-innerungenunter allen am frühesten organisiert und discivliniert,mit den bestimmtesten Stichwörtern versehen und von den tüchtigstenFührern geleitet"; und daneben gab es auch noch in den andereilParteien Ultramontane , die in allen kirchlichen Fragen mit ihrstimmten. So war eine geschlossene Partei immer auf dem Plan,wo es galt, katholische Interessen zu wahreu oder Gewinn für dieKirche einzuheimsen, schou damals ein Beweis, daß die katholischeKirche es trefflich versteht, mit jeder Regierungssorm, nötigenfallsauch mit der Revolution sich zu vertragen. Daß wie heute nochin Baden so auch damals schon die äußerste Linke mit dem Selb-ständigkeit und Freiheit für sich begehrenden Ultramontauismussich verbündete uud nicht begriff, wie sie damit doch nur eineralle Geistessreiheit gefährdenden Macht Handlangerdienste leistete,versteht sich nach den Erfahruugen, die wir inzwischen gemachthaben, fast von selbst.

Vom 22. Oktober bis 16. November aber tagten die deutschenBischöfe in Würzburg uud erklärten:wie entschieden und strengauch die Kirche anarchische Bestrebungen jeder Art verabscheue undverwerfe, so habe doch auch sie ein lebendiges Interesse an derSicherung alles dessen, was der allgemeine Nus nach Freiheit vonadministrativer Bevormundung und Kontrolle Wahres enthalte,und dürfe es nicht verabsäumen, an den Zusagen, die die Fürsten ihren Völkern gegeben, den ihr gebührenden Anteil in Anspruchzu nehmen". Die Trennung der Kirche vom Staat erklärten sieunter gewissen Borbehalten accevtieren zn können. Was sie forderten,war: unbeschränkte Freiheit der Lehre uud des Unterrichts, Er-richtung uud Leitung eigener Erziehungs- uud Unterrichtsanstalten,Ausschluß des Staates von der Prüfung und Überwachung derGeistlichkeit, Freiheit der Assoziation für alle geistlichen Vereine,Aufhebung des Placet und endlich selbständige Verwaltung undVerwendung des Kirchen- nnd Stistungsvermögens.

So geschickt wußte die Kirche revolutionäre Gedanken inihrem Sinn umzubiegen; nnd was sie ans Grund derselben ver-

Ziegler, die geistigen u, socialen Strömungen des I». Jahrh. 19