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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
305
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Die Kirche im Dienste der Reaktion. g«Z5

abwandten und ihrerseits kirchlich und reaktionär für dasselbehielten. In der Zeit von 1848 bis 1860 haben sich die kirch-lichen Kreise nnd die verschiedenen deutschen Kirchenregiernngenthatsächlich so gehalten nnd gezeigt. Auch moralisch hat diese Zeitder Kirche nicht gut gethan. Viele Führer der kirchlichen Reaktionstanden sittlich teilweise recht niedrig. Ich selbst habe als Knabebei einem Missionsscst zwei von ihnen von der Kanzel meinesBaters herab in frechster Weise lügen hören, und nnten lächeltensie sich dann mit der Miene römischer Anguren ihr verlegenheitsvollesEinverständnis zu.

Noch einfacher lag die Sache für die katholische Kirche . Siehatte schon die Bewegung von 1848 im Interesse ihrer Selb-ständigkeit und Bewegungsfreiheit, das heißt im Interesse ihrerMachtstellung zu bcuützen gesucht. Jetzt beutete sie die reaktionäreStimmuug nnd Gesinnung der Regierenden durch die Betonungder Zusammengehörigkeit von Thron und Altar anfs klügste aus,bekämpfte die Revolution und befestigte dadurch die eigene Macht-stellung nur immer mehr. Der Bischof Ketteler von Mainz übernahmdabei die Führung. Aus diese Weise schien ihr ein ganz besondersGroßes gelingen zu wollen der Abschluß von Konkordaten, durchwelche ihre Rechte und ihre Macht dem Staat gegenüber ins un-gemessene gesteigert uud das durch die Gunst der Verhältnisse bereitsErrungene auch für die Zukunft sicher gestellt werden sollte. MitÖsterreich , wo 1852 mit einem Federstrich die im Jahr 1849widerwillig gegebene Verfassung wieder aufgehoben worden war,kam 1855 ein solches wirklich zu staude. Es beseitigte die letztenReste und Spuren der Josephinischen Grundsätze und ordnete Unter-richt, Eheschließuug und das Verhältnis der Konfessionen ganznach den Ansprüchen und Wünschen der katholischen Kirche . Selbstdas, was auf dem Papier bestehen blieb, wie die Bonitz-ExncrscheOrganisation der Gymnasien und Realschulen, wnrde dadurch that-sächlich wirkungslos gemacht. So wurde für Österreich die In-toleranz geradezu zum Gesetz erhoben, nnd Hand in Hand damitging die Niederhaltung alles geistigen Lebens.

Was in Österreich und ähnlich anch in Hessen durch dieMainzer Konvention gelungen war, versuchte man dann von Rom

Ziegler, die geistigen u, socialen Strömungen des IS. Jahrh. 20